Von Jägern und Gejagten

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Hunter White ist verheiratet und lebt als erfolgreicher Investmentmogul in New York. Regelmäßig geht er seinem exquisiten Hobby nach, der Großwildjägerei in Afrika. Hunter hat bereits jeweils eine Elefanten-, Büffel-, Löwen- und Leopardentrophäe ergattert und seiner Gattin als willkommenes Geschenk überreicht. Jetzt fehlt ihm nur noch die Nummer Fünf im Quintett der „Big Five“, weshalb Hunter seinem Agenten Van Heeren viel Geld gezahlt hat, um den Abschuss eines Spitzmaulnashorns perfekt zu organisieren.

Einheimische Fährtenleser begleiten die Jäger, um das freigegebene Tier zu finden und Gefahren aus dem Weg zu räumen. Gaea Schoeters beschreibt die Jagd unglaublich sinnenfreudig. Wir lernen die vielfältige Wildnis Afrikas kennen, die Tier- und Pflanzenwelt, die Besonderheiten des Landstrichs und dessen Schönheiten. Man taucht dabei tief in die Gedanken Hunters ein. Er liebt dieses Afrika, er hat Respekt vor Ureinwohnern und Tieren, er gibt Geld aus, um die Natur zu schützen. Er sieht auch seine Jagdlizenz genau als das an: einen aktiven Beitrag zum Schutz der Wildtiere im Nationalpark.

Im Verlauf des Romans lernt man Hunter sehr genau kennen. Er ist ein Mann mit vielen Facetten. Auch wenn man die Jagd nach Trophäen aus tiefster Seele verabscheut, wird man den Jäger Hunter, den Prototyp des weißen, egoistischen Kapitalisten, nicht ohne weiteres hassen können. Seine ambivalente Haltung zwischen dem unbedingten Willen zum Töten und der Ehrfurcht vor der lebenden Kreatur lässt lange keine klare Positionierung zu.

Bei der Jagd nach „seinem“ Nashorn geht jedoch etwas gehörig schief. Hunter kann das Tier nicht selbst erlegen. Die Enttäuschung ist immens, so dass ihm Geschäftsmann Van Heeren ein anderes, vermeintlich noch reizvolleres Jagdangebot macht, zu dem Hunter nicht nein sagen kann. Was nun passiert, ist tatsächlich unvorstellbar. Der Leser wird gezwungen, sich mit einem scheinbar völlig unrealistischen, absurden Szenario auseinanderzusetzen. Ungemein fremd, packend und grausam ist das. Das Thema Jagd wird um eine Dimension erweitert. Ganz nah ist man erneut bei Jäger Hunter, man verfolgt seine Wege, macht seine Beobachtungen, nimmt teil an seinen Reflexionen, in denen deutlich wird, dass bereits Hunters Großvater ihn mit einem fragwürdigen Männlichkeitsethos ausgestattet hat. Zahlreichen existentiellen Situationen und Gefahren ist der Jäger ausgesetzt, was die Spannung permanent hochhält.

Schoeters erzählt kraftvoll und ausdrucksstark, ihr Stil ist vielseitig und kreativ. Wo es passt, wird sie poetisch, sie konstruiert eindrucksvolle, höchst atmosphärische Szenen, die cineastischen Anforderungen standhalten dürften. Sie führt uns in eine Welt ein, die den meisten Lesern fremd sein dürfte. Jagdszenen werden ausführlich, drastisch und präzise geschildert. Die großartigen Naturbeschreibungen bilden einen eindrucksvollen Kontrast dazu. Die Autorin beleuchtet Grauzonen und die verschiedenen Seiten derselben Medaille. Niemand wird direkt verurteilt oder freigesprochen. Die Indigenen Afrikas bilden einerseits einen Gegenpol zum jagenden Weißen, andererseits werden auch sie von eigenen, wenig altruistischen Motiven geleitet, die sie korrumpierbar machen. Die Spätfolgen des Kolonialismus sind spürbar und fließen in die Thematik ein.

Man muss sich auf diesen außergewöhnlichen Roman einlassen. Ich selbst musste ihn erst einmal sacken lassen, weil er fordert und wehtut, weil er direkt ist und nichts verschleiert. Die ausufernden Jagdszenen sind gewöhnungsbedürftig, Figuren- und Schauplatzgestaltung sind indessen großartig. Man muss seine eigenen Anschauungen ständig hinterfragen und abwägen. Schoeters vermeidet Belehrungen, sie traut ihren Lesern zu, ihre eigene Position selbständig auszuloten. Es werden bedeutende ethische Fragen gestellt, die ein intensives Nachdenken in Gang setzen.

Eine außergewöhnliche, gewinnbringende Lektüre, in der man einiges über die Trophäenjagd und Afrika lernen kann. Wer sich den Roman, der von Lisa Mensing kongenial aus dem Niederländischen übersetzt wurde, thematisch zutraut, sollte ihn unbedingt lesen.

Große Leseempfehlung!