Ein mit allen Facetten des Genres gewürzter Thriller endet als dramaturgisches Feuerwerk

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claasclasen Avatar

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Peter Grandls beeindruckender Politthriller TURMSCHATTEN, der im Jahr 2010 handelt, verlangte nach einer Fortsetzung, die die aktuelle Situation in einem demokratischen Deutschland des Jahres 2020 widerspiegelt. Endlich, TURMGOLD erblickt am 1. Dezember das Licht der literarischen Welt.
Der Ort der Handlung ist erneut der mittlerweile als jüdischer Kindergarten genutzte Turm, dem einst von Hitlers Schergen zu unbekannten Zweck erbaute Betonmonster.
Ich durfte dieses grandiose Werk von Peter Grandl vorab lesen und diese Rezension verfassen.
Eines vorweg: TURMGOLD ist nichts für sensible Leser mit schwachen Nerven und Neigung zu unschönen Träumen.
Was faszinierte mich persönlich an der megaspannenden Story von TURMGOLD am meisten?
Das präzise Bild der handelnden Protagonisten, die herausgearbeitete Persönlichkeit der Akteure, die Grandl mit seinen Worten zum Leben erweckt. Der psychologische Hintergrund der Figuren, die durch Herkunft und sozialer Prägung ihr Streben nach Gemeinschaft, nach Anerkennung und nach Macht mit sehr individuellen Wertevorstellungen verknüpfen und diese notfalls mit Gewalt durchsetzen.
Es gilt auch in TURMGOLD durch ein kriminelles System gelenkte verblendete Neonazis, also (Zitat) hirnverbrannte Rechtsradikale, deren ungestillte Gier nach Rache gegen einen Verräter aus eigenen Reihen und ihr anerzogener Hass gegen alles Fremde, speziell gegen die Juden, eskaliert, mit allen notwendigen Mittel an der Ausführung ihres perfiden Plans zu hindern.
Dieser durch gefährlich intelligente Verbrecher erdachte Plan, wird durch bornierte Befehlsempfänger, mit Macht, Skrupellosigkeit und modernsten Waffen ausgestattet, in blinder Wut ausgeführt. Die äußerst brutale Geiselnahme von jüdischen Kindern und deren BetreuerInnen liefert eine Rahmenhandlung, die mir beim Lesen sowohl Wut als auch Betroffenheit erzeugte.
An Aktualität gewinnt Grandls brillantes Werk durch den Hintergrund der Corona-Pandemie, durch Ordnungshüter mit Sympathie für rechte Ideologien und rassistischen Neigungen, durch die Aussagen einer politisch rechten Partei, die unverkennbar an die AFD und deren hetzerischen selbsternannten Nachfolger des Führers aller Deutschen erinnert und die Zukunft Deutschlands nach ihren Vorstellungen neu zu gestalten, oder besser, die alten Vorstellungen wieder herbeizuführen und sogar (Zitat) Die Demokratie mit den eigenen Waffen zu schlagen. Nicht zuletzt ist es die Rolle der Medien, die wir täglich wahrnehmen, die ebenfalls ohne Skrupel für eine gute Quote bereit sind, die Ermordung von Kindern zu vermarkten, ohne Rücksicht auf Moralvorstellungen das Grauen auszuschlachten.
Über dieser intelligent erdachten Geschichte schwebt die moralische Frage, ob Schwerverbrecher begnadigt und ihr Wissen zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden dürfen. Dass dies in der Vergangenheit in geradezu skandalöser Form in den Fünfzigerjahren passiert ist, zeigt Grandl an einem Beispiel auf, das mir aus eigenen Recherchen bereits bekannt war, manchem Leser aber ein „Unglaublich“ hervorrufen dürfte. Ich verrate nichts!
Erwähnen darf ich an dieser Stelle, dass der Autor ausreichend viel Rückblicke auf TURMSCHATTEN eingebaut hat, sodass TURMGOLD auch für sich gelesen werden kann.
TURMGOLD von Peter Grandl ist nach TURMSCHATTEN mit das Beste, das ich innerhalb dieses Genre in den ich in den vergangenen Jahren gelesen habe. Nicht einfach nur Unterhaltung, sondern ein durch die gesellschaftliche Brisanz gekennzeichnetes Werk, dass allen, in Politik und Gesellschaft, die gerne über demokratiegefährdende Tendenzen in unserem Land hinwegsehen, das Risiko ihrer Passivität aufzeigt.
Die Realitätsnähe dieser Fiktion gibt zu denken.
Sollte zu denken geben.