leise und poetisch
Dieser Roman hat eine fast lyrische Sprache, aber reiht sich für mich zudem in das Genre des "Nature Writing" ein - obwohl auch ein historischer Kontext besteht. In drei Kapiteln - überschrieben: Weiß - Grün - Gelb erleben wir Leser*innen drei eindrücklich geschilderte Jahreszeiten im französischen Hochgebirge in der Nähe des Mont Blanc - an der Grenze zur Schweiz.... Es ist das Jahr 1943 und ein kleiner Pariser, namens Vadim Pavlovitch, wird von seiner Mutter über Freunde ins Gebirge geschickt um (offiziell) sein starkes Asthma auszukurieren. Gleichzeitig allerdings ist es auch eine Zuflucht für den Knaben mit jüdischen Vorfahren, der nun in "Vincent" umbenannt, bei mitfühlenden Menschen in einem winzigen Bergdorf bleiben soll. Der zarte, künstlerisch begabte Vadim/Vincent ist ein Synästhetiker, bei dem Worte Farbe annehmen und von der überwältigenden Natur um ihn herum völlig fasziniert. Dort oben in der Einsamkeit der Berge bleibt der meterhohe Schnee sehr lange liegen und die restlichen Jahreszeiten müssen die Menschen vor Ort doppelt so hart arbeiten wie die Stadtbevölkerung, um über die Runden zu kommen. Gleichzeitig sind sie und ihre Empathie aber der Boden, auf den sich der Neuankömmling verlassen kann. Goby`s ruhig-fließender Erzählton, ihre gut recherchierte Beschreibung der Lebensweise im Hochgebirge weitab vom Schuss und ihre liebevoll gezeichneten Figuren wurden von Marlene Frucht stimmungsvoll ins Deutsche übertragen. Wir erleben Vincent`s erwachende Adolezenz, sein Erlernen der Arbeitsabläufe und seine allmähliche Wandlung in ein echtes Dorfkind, als im beginnenden Herbst die zuvor im Hintergrund befindliche Kriegs-Szenerie sich nach vorne schiebt. Die Italiener haben die Berggegend verlassen und nun rücken die Deutschen näher! Das heißt: Vincent muss abrupt wieder zu Vadim Pavlovitch werden und mit seinem Bergvater auf geheimen Kletterwegen zur Schweizerischen Grenze fliehen... Eine leise, naturnah-lyrische Erzählung, die mich zu fesseln verstand!