Wenn der Trauerredner zum Detektiv wird

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Ich gebe es zu: Die ersten Kapitel haben mich fast zur Verzweiflung gebracht. Zu viele Figuren auf einmal, zu viel Setup, zu wenig Sog. Ich hatte schon überlegt, abzubrechen. Aber dann – irgendwo zwischen Minute 40 und 50 – hat mich dieses Hörbuch gepackt und nicht mehr losgelassen.
Die Grundidee ist brillant: Mads schreibt Trauerreden, kennt also alle Leichen im Keller der Verstorbenen. Wenn man beruflich zwischen Wahrheit und Schönfärberei navigieren muss, entwickelt man ein Gespür für Lügen. Genau dieses Gespür macht ihn zum perfekten Amateur-Ermittler, auch wenn er das gar nicht will. Patrick, sein toter Freund, war offenbar kein bisschen so, wie ihn alle in Erinnerung haben wollen. Und genau diese Diskrepanz zwischen öffentlichem Bild und Realität – das ist der Motor dieser Geschichte.
Was funktioniert: Die norddeutsche Atmosphäre, diese Mischung aus Gemütlichkeit und unterschwelliger Kälte. Der verschrobene Vater Fridtjof, Fiete der Bestatter, sogar die mürrische Kommissarin Mills – alles Figuren mit Ecken und Kanten. Keine Klischees, sondern Menschen, die man sich problemlos in einem Café in Glücksburg vorstellen kann. Und die Malteserhündin Bobby? Genial eingesetzt, ohne kitschig zu werden.
Die Schwäche: Dieser zähe Anfang. Zu viel Exposition, zu wenig Vertrauen in die Leser. Man merkt, dass hier jemand alle Figuren sorgfältig einführen will, aber es dauert einfach zu lange, bis die Geschichte wirklich Fahrt aufnimmt. Hätte man straffer erzählen können.
Aber sobald das Netz aus Geheimnissen sich spannt, sobald Mads merkt, dass er nicht nur einem Toten hinterherjagt, sondern selbst zur Zielscheibe wird – da ist alles vergessen. Die Spannung steigt kontinuierlich, die Twists fühlen sich verdient an, nicht konstruiert. Und der Ton bleibt dabei immer auf dieser feinen Linie zwischen Ernst und norddeutschem Humor.
Fazit: Durchhalten lohnt sich. Wer die ersten Kapitel übersteht, bekommt einen soliden Mystery-Thriller mit Herz, Humor und einer verdammt cleveren Prämisse. Ich hätte mir gewünscht, dass der Autor mutiger reingegangen wäre – weniger erklären, mehr vertrauen. Aber unterm Strich: definitiv hörenswert.