Zusammenbleiben
Ich habe bereits einige Tatsachenromane von Hera Lind gelesen und dieser hat mir bislang am besten gefallen, weil ich sofort einen Zugang zu den Protagonisten aufbauen konnte. Der Roman beruht auf später aufgeschriebene Aufzeichnungen von Lydia Judt. Ihre Vorfahren kamen im 19.Jahrhundert von Deutschland in die Ukraine, weil sie sich dort ein besseres Leben erhofften. Im Zuge des 2. Weltkrieges floh Lydia, mittlerweile eine Jugendliche, zusammen mit ihrer Mutter und den Geschwistern aus ihrem Heimatort. Der Vater war bereits zum Kriegseinsatz eingezogen worden. Was Lydia und ihre Familie dann erleiden mussten, ist kaum zu fassen. 12 Jahre Kälte, hartes Arbeiten und unmenschliches Wohnen in Sibirien. Eigentlich unvorstellbar. Wie konnten Menschen das Überleben? Lydia versucht das Beste aus den Situationen und vielen Ortswechseln zu machen. Ihrer Mutter zuliebe heiratet sie einen Mann, den sie nicht liebt und kaum kennt. Sechs Kinder zieht sie groß. Aber immer wieder ist der Gedanke in ihr, nach Deutschland, ins Land ihrer Vorfahren, zurückzukehren. Ein Land welches sie nicht kennt, aber hofft, dort ein besseres Leben führen zu können. Zumal es ihren Vater dorthin verschlagen hat und sie auf ein Wiedersehen hofft. Viele Ausreiseanträge werden abgelehnt, doch eines Tages gibt es eine Zustimmung und Lydia darf mit ihrer Familie nach Deutschland ziehen. Dort sind ihr noch viele gute Jahre vergönnt, denn Lydia wird stolze 92 Jahre alt. Ihre Kinder traten an Hera Lind heran, damit diese Lydias Erinnerungen einem breiten Publikum zugänglich machen kann. Der erste Romanteil basiert auf Lydias Aufzeichnungen, die sie spät im Leben aufgeschrieben hat. Im letzten Teil kommen dann Lydias Kinder zu Wort. Natürlich ist der vorliegende Roman kein literarisches Meisterwerk, aber diesen Anspruch erheben Hera Linds Tatsachenromane auch nicht. Das Buch lässt sich leicht lesen und ein Lesefluss stellt sich sofort ein. Die Geschichte hat mich sofort in den Bann gezogen und tief berührt. Allerdings kann ich bei diesen Tatsachenromanen auch nie mein Kopfkino mit der Frage ausschalten, was wohl der Wahrheit entspricht und was der künstlerischen Freiheit zuzuordnen ist. So auch hier. Hat sich das alles wirklich so zugetragen? Ist die menschliche Erinnerung im Nachhinein noch so genau? Wie dem auch sei. Mit diesem Genre trifft Hera Lind genau den Zeitgeist und es ist wichtig, dass sie sich diesen Geschichten annimmt. Wir können daraus lernen und verstehen. Mir jedenfalls hat sie die Vergangenheit der sogenannten Russlanddeutschen näher gebracht und ich kann vieles besser einordnen.