Kentucky – unbekanntes Land und doch vertraut

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kleine hexe Avatar

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Chris Offutt hat einen spannenden und düsteren Krimi vorgelegt. Mit einigen Twists und Nebenhandlungen, die die Erwartung an das Buch steigern. So z.B. erfahren wir gleich zu Beginn, dass Linda Hardin, erster weiblicher Sheriff im County nicht richtig ermitteln kann weil es dem Bürgermeister ungelegen wäre, wenn eine Frau den Fall löst, der County Judge hat was gegen die Familie Hardin, Murvin Knox, ein Kohlemagnat stellt ihr gar einen Aufpasser vom FBI an die Seite, der ihm jeden Zug von Linda Hardin berichtet. Und so bittet Linda ihren Bruder Mick, der gerade auf Heimaturlaub von der Army ist, um Hilfe. Mick ist hochausgebildeter Mordermittler, hat für die Armee viele Fälle gelöst, war in Einsätzen in Syrien, Irak, Afghanistan, er ist also sehr wohl in der Lage seiner Schwester zu helfen. Er ermittelt auf eigene Faust, tauscht sich aber regelmäßig mit Linda aus, bringt sie auf den neuesten Stand.
Eine der Nebenhandlungen sind Micks Eheprobleme mit seiner hochschwangeren Frau Peggy. Ich würde sagen, es sind zu erwartende Probleme, wenn Mann und Frau sich jahrelang nur sporadisch sehen. Mick löst elegant die Situation, so dass damit beide auf ihre Weise damit leben können.
Interessant: bei diesem Krimi erfahren wir nicht erst im letzten Absatz auf der letzten Seite, wer der Mörder ist, sondern schon gut 100 Seiten vorher. Aber die Suche nach einem bekannten Mörder ist genauso spannend wie die Suche nach dem großen Unbekannten. Letztlich war der Mord kein Mord, eher ein Sexunfall, der vermeintliche Mörder wird trotzdem getötet. Wir dürfen nicht vergessen, der Krimi spielt in Kentucky. Hinterwäldler leben nach eigenen uralten Gesetzen und verüben die Blutrache ohne viel Worte und gnadenlos.
Um die Symmetrie zu wahren, beginnt und endet der Roman mit einer humorvollen Szene, wenn man so sagen darf: . Absolut drollig fand ich in der Eröffnungsszene den alten Mann, der zuerst seine Ginseng Pflanze an einen sicheren Ort verpflanzt, bevor er die Polizei wegen der soeben entdeckten Leiche ruft. Der Mann weiß Prioritäten zu setzen. Und die Frau ist ja schließlich tot. Aber die Ginseng Pflanze muss vor dem Niedertrampeln geschützt werden. Die Schlussszene war zum Genießen. Die Liebe zwischen Army und FBI war nie sonderlich groß und was Mick da tut ist ihr auch nicht gerade förderlich. Schön!
Die handelnden Personen sind klar definiert und wirken ansprechend: ein schluchzender Mörder, ein knallharter Ermittler, eine hartgesottene Frau, die ihre Drogen verkaufende Söhne fest im Griff hat, ein stiller Korea-Veteran, der ohne viel Federlesen das tut, was er glaubt sei seine Pflicht. Wir als Leser können die Handlungen all dieser Menschen nachvollziehen, sie verstehen, ihnen Sympathie entgegenbringen. Chris Offutt schafft es, dass wir Mitleid mit den Mördern haben.
Das Titelbild ist beeindruckend: Landschaft und Pickup sind in dramatisches Feuerrot getaucht, ein Hingucker schlechthin.