Kommt Captain America in die Kentucky Hills...

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bodhraní Avatar

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Chris Offut – Unbarmherziges Land

Eine Frauenleiche wird an einem entlegenen Berghang in den Kentucky Hills gefunden. Linda Hardin, die erste weibliche Sheriff in der Gegend, wird von der Politik Druck gemacht, denn man traut ihr die Lösung des Falls nicht zu.

Glücklicherweise ist Lindas Bruder Mick in der Gegend. Als Ermittler des CID, der Militärpolizei der USA, ist Mick mehr als bereit, seiner Schwester zu helfen. So kann er den Eheproblemen zumindest vorübergehend entkommen.

Im Grunde war es das auch schon mit der eigentlichen Geschichte. Mick redet mit Menschen, gelegentlich schlägt Mick Menschen. Zwischendurch bemitleidet er sich selbst. Am Ende löst er den Fall.

Soweit, so gut. Die Kentucky Hills und die Bewohner spielen, nach Mick, die zweite Hauptrolle. Jeder hier ist eigenbrötlerisch, nicht wirklich helle, aber bauernschlau. Und die Familie geht über alles. Hier gibt es noch Fehden zwischen Familien, die sind so alt wie das Land. Wenn Du hier etwas gelten willst, dann musst Du aus der richtigen Familie kommen. Und Mann sein.
Und Mick ist ein Mann. Und was für einer. Hier schreit alles TESTOTERON! Sollte diese Geschichte einmal verfilmt werden, dann muss Jason Statham Mick spielen.

Mick kann alles. Reparieren, tiefenpsychologische Analysen, Auftragsschläger lässig zu Klump hauen, saufen, ohne irgend eine Befugnis Verdächtige verhören. Nur eine Sache kann Mick nicht: an sich zweifeln. Und das ist das erste echte Problem an dem Text: der gute Mick ist leider überhaupt nicht interessant. Und damit auch nicht die Kriminalhandlung, denn der Ausgang steht tatsächlich sehr deutlich fest. Leider konzentriert sich Chris Offut mehr oder weniger die ganze Zeit über auf Mick.

Im ganzen Buch kommen grade einmal drei weibliche Figuren vor. Eine Familienmatriarchin, wichtig für den Fortgang der Geschichte, aber wenn es hoch kommt mit fünf Sätzen im ganzen Buch. Dann noch Micks Schwester – zu der kommen wir gleich noch – und seine Ehefrau. Diese bleibt leider ein bisschen blass, obwohl sie und die Eheprobleme, die die beiden haben, der Geschichte mehr Persönlichkeit und den Figuren mehr Tiefe gegeben hätte. Hier ist leider Potential vergeben worden.

Und hiermit nun zu Micks Schwester Linda und dem zweiten großen Problem in dem Buch. Linda ist im Grunde nur Staffage. Eine Stichwortgeberin, die dafür sogen muss, dass es an den richtigen Stellen in die richtige Richtung geht. Und dabei ist sie die viel interessantere Figur. Als weiblicher Sheriff in der Macho-Welt der Kentucky Hills. Wäre die Geschichte aus ihrer Sicht geschrieben worden, ich hätte richtig Spaß gehabt.

Was wirklich richtig ärgerlich an der ganzen Sache ist: Chris Offutt kann tatsächlich sehr gut schreiben. Die Stimmung, die Hills und, wenn er sich einmal etwas mehr für die Figuren interessiert auch diese: das alles ist toll geschrieben. Eventuell fehlt eine Prise Humor. Es muss ja nicht gleich der Slapstick von Joe Lansdales Hap & Leonard Romanen sein.

Soweit ich weiß, ist Unbarmherziges Land der erste auf Deutsch erschienene Krimi von Offutt. Wenn er in weiteren Büchern keinen Captain America-Clon als Hautptcharakter wählt, dann ist das einen zweiten Blick wert. Denn schreiben, das kann er.