Ein feministisch geprägter, atmosphärischer Roman, der Mythos & Geschichte verknüpft

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Das Meer gibt und das Meer nimmt. In Emilia Harts "Unbeugsam wie die See" rauscht es wie eine zusätzliche Erzählerin durch die Kapitel – geheimnisvoll, unberechenbar, manchmal gnadenlos.

Wir begegnen Lucy im Jahr 2019, die nach einer verstörenden Nacht mit einem Kerl zu ihrer Schwester Jess flieht – nur um festzustellen, dass diese verschwunden ist. Statt Antworten findet sie alte Gerüchte über verschwundene Männer, ein Kind, das einst in einer Höhle am Strand entdeckt wurde, und das Wispern von Frauengesängen im Wind. Parallel erleben wir Jess als Jugendliche Ende der 1990er, eine Außenseiterin, die in der Kunst Halt sucht und spürt, dass ihre Familie etwas verschweigt. Und dann sind da Mary und Eliza um 1800, verurteilte Frauen auf einem Schiff nach Australien, die sich gegen ein grausames Schicksal stemmen. Das Schiff und auch der Handlungsort sind zwar fiktiv, die Deportation von Strafgefangenen nach Australien aber historisch belegt.

Hart webt diese drei Zeitebenen ineinander, lässt Träume und Spuren durch die Generationen fließen. Das Meer verbindet die Geschichten, reißt auf, verschlingt und trägt weiter. In ihrem Vorwort schreibt die Autorin, dass sie bewusst die Kolonialisierung Australiens in den Roman verwebt hat – als Erinnerung daran, dass Besetzung und Unterdrückung auch Teil weiblicher Geschichte sind. Und so liest sich der Roman nicht nur als düstere Familiensaga, sondern auch als Kommentar zu Macht, Gewalt und Widerstand.

Emilia Hart versteht es vortrefflich, nicht nur eine mitreißende Geschichte zu erzählen, sondern relevante Themen kunstvoll einzuflechten: weibliche Selbstbestimmung, generationsübergreifende Verbundenheit – und nicht zuletzt die glühende Female Rage, die hier immer wieder aufflackert.

Ja, manches habe ich früh durchschaut, Wendungen waren absehbar und an ein paar Stellen hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht. Aber die Figuren tragen, ihre Beziehungen sind lebendig und vielschichtig, und die Atmosphäre – dieses stetig anwesende, rauschende Meer – ist stark genug, um einen Sog zu erzeugen, der mich das Buch an einem Tag verschlingen hat lassen (was schon ewig nicht mehr vorgekommen ist!)

Ein feministisch geprägter, atmosphärischer Roman, der Mythos und Geschichte verknüpft, starke Frauenstimmen hörbar macht und mich sehr gut unterhalten hat. Ein bisschen weniger Vorhersehbarkeit, ein bisschen mehr Mut zur Dunkelheit – und es wäre ein Highlight!