Stimmen im Wasser, die nicht ganz zu mir fanden

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Drei Zeitebenen, Schwestern, Geheimnisse, das Meer als mystische Kraft – auf dem Papier klang das nach genau meinem Ding. Und teilweise war es das auch. Aber eben nur teilweise.

Der Schreibstil hat mich sofort eingefangen. Da ist diese atmosphärische Dichte, die das Meer fast greifbar macht, dieses Salzige und Bedrohliche gleichzeitig. Die Autorin kann schreiben, keine Frage. Einzelne Szenen haben mich wirklich berührt, besonders die Passagen auf dem Schiff 1800 mit Mary und Eliza. Da hat sie eine Intensität geschaffen, die mir unter die Haut ging.

Aber dann kommt das große Aber: Ich bin nie richtig angekommen bei den Figuren. Und das ist für mich als Leserin das Entscheidende. Die drei Zeitebenen – 2019 mit Lucy, 1999 mit Jess und 1800 mit den Zwillingen – sollten sich wahrscheinlich zu einem großen Ganzen verweben, aber stattdessen hat jeder Sprung mich wieder aus der Geschichte gerissen. Gerade wenn ich anfing, mich in eine der Frauen einzufühlen, schwupps, nächste Zeitebene. Das hat den Charakteren die Tiefe genommen, die sie gebraucht hätten.

Als Lektorin würde ich sagen: Das ist ein klassisches Strukturproblem. Die Handlung profitiert von den Perspektivwechseln, klar, der Spannungsbogen wird dadurch gestützt. Aber die emotionale Bindung leidet massiv darunter. Ich brauchte mehr Zeit mit jeder einzelnen Frau. Mehr Raum, um ihre Ängste, ihre Wut, ihre Hoffnungen wirklich zu spüren. Stattdessen blieben sie für mich Silhouetten in einem schön gemalten Bild.

Das Pacing war stellenweise zäh – besonders in der Mitte. Da hat sich die Geschichte eher gezogen als entwickelt. Ich habe durchgehalten, weil ich wissen wollte, wie es ausgeht, aber nicht, weil ich unbedingt wissen musste, was mit Lucy oder Jess passiert. Das ist ein Unterschied.

Die Mystery-Elemente um die verschwundenen Männer, das Baby in der Höhle, die Stimmen im Meer – das alles war intriguing genug. Aber es hat sich eher kühl angefühlt, intellektuell statt emotional. Ich habe die Rätsel gelöst bekommen, aber ich habe nicht mit den Figuren gefiebert.

Was mich wirklich gestört hat: Bis zum Schluss konnte ich nicht richtig andocken. Und das liegt nicht an mir als Leserin oder an einem schlechten Buch. Es liegt daran, dass die Struktur der Charakterentwicklung im Weg stand. Drei Geschichten sind eben manchmal eine zu viel, wenn man eigentlich drei eigenständige Romane in einem unterbringen will.

Ich gebe dem Buch 3,5 Sterne, weil es atmosphärisch stark ist und weil ich den ambitionierten Ansatz respektiere. Aber emotional hat es mich nicht erreicht. Und bei einem Buch über Schwestern, über Bindung und Identität, ist das für mich ein echtes Defizit. Schade, denn die Idee hatte so viel Potenzial.