Revolte der Frauen

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Zum Inhalt:
In ihrem neuen Roman nimmt uns die Autorin mit zu einem unbestimmten Tag, an dem plötzlich nichts mehr so ist wie es vorher war. Die Frauen verweigern sich dem politischen und sozialen System. Sie erklären nichts, sie legen sich einfach auf den Boden und lassen die vielen privaten und beruflichen Aufgaben einfach unerledigt. Es ist ein Protest, der zunächst klein beginnt, schon bald aber zu einer nicht zu stoppenden Bewegung wird. Diese Geschichte erfahren wir aus vorwiegend drei Perspektiven. Zunächst ist da Elin, eine junge und äußerst erfolgreiche Influencerin, die innerlich leer ist und mit anonymen Sex versucht diese Leerstelle zu füllen, was ihr allerdings nicht gelingt und sie schließlich auch in eine gefährliche Situation bringt. Nuri, ein junger Mann aus schwierigen familiären und sozialen Verhältnissen, versucht sich durch diverse Jobs im Niedriglohnsektor über Wasser zu halten und verzweifelt zunehmend an der Chancenlosigkeit innerhalb eines maroden Systems, das nur noch aufgrund der Ausbeutung der Schwächsten funktioniert. Und schließlich ist da Ruth, die in der Krankenpflege tätig ist und sich bis zum Zusammenbruch aufarbeitet. Der Pflegenotstand hat sie und ihre Kolleginnen schon lange im Griff und nur noch wenige halten diese Arbeit aus. Ergänzt werden diese Perspektiven noch durch die kurzen Beiträge einer Pistole, einer Gebärmutter und der allgegenwärtigen Berichterstattung.

Mein Leseeindruck:
Dieses Buch ist mir so nahe gegangen wie schon lange keines mehr. Das liegt vor allem daran, dass Mareike Fallwickl es schafft, die Situationen pointiert herauszuarbeiten, in denen Menschen verzweifeln, auslaugen, ausbrennen und aufgeben. Besonders eindringlich fand ich die Schilderungen rund um den Pflegesektor und die Care-Arbeit, die so selbstverständlich und von der Gesellschaft als unweigerlich gegeben, von Frauen jeden Alters und aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten kommend, geleistet werden. Dieser Roman ist eine Mischung aus Dystopie und Utopie und somit ist es für mich auch völlig in Ordnung, dass an manchen Stellen Situationen und Personen überzeichnet werden um etwas deutlich zu machen. Dieser Roman hält seinen Finger in die Wunde eines Systems, das darauf beruht Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen auszubeuten, einem System, das Frauen als unbezahlte Arbeiterinnen in Haushalt, Familie, Angehörigenpflege, Kuchenbacken für den Verein der Kinder usw. einspannt ohne sie dafür zu würdigen, ohne die vielen Stunden, die für all das „Zusammenleben“ investiert werden sichtbar zu machen geschweige denn die Frauen dafür zu entlohnen. Die Idee einer Solidargemeinschaft unter Frauen, die einfach mit all den Rollen und Erwartungen brechen, die einfach nicht mehr mitmachen ist dabei so einfach wie erschreckend. Denn unweigerlich fragt man sich beim Lesen: Was würde dann passieren? Wie würde ein Staat, wie die Männer darauf reagieren? Besonders stark an diesem Aspekt finde ich auch die Art des hier geschilderten Protestes. Die Frauen liegen regungs- und sprachlos vor Krankenhäusern, Kindergärten und anderen Einrichtungen. Habe keine Forderungen, schreien keine Parolen. Sie haben nämlich schon so oft alles gesagt, auf all die Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten, den Pflegenotstand, die Altersarmut, die sexuellen Übergriffe, die ungleiche Bezahlung und die vielen andere Punkte hingewiesen und das bereits seit Jahrhunderten. Da all das Reden und Bitten nicht gefruchtet hat, ist das Schweigen, das sich Ablegen in meinen Augen eine konsequente Entwicklung. Denn eins steht fest, jeder weiß worum es geht und genau das ist so bitter wie unerträglich. Sicherlich trifft dieser Roman nicht jeden Geschmack, sicherlich hat er Aspekte, die diskussionswürdig sind und doch leistet er einen wichtigen Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Phänomenen. Denn die meisten Frauen weltweit leben in Unfreiheit bezüglich der Unversehrtheit und Selbstbestimmung über ihre Körper. Viele Frauen weltweit haben mit gesellschaftlichen Rückschritten zu kämpfen in Bereichen, die bereits als erkämpft und gesichert galten. Nach wie vor erleben zu viele Frauen Gewalt in verschiedenen Ausprägungen und werden durch geltende Gesetze nur unzureichend oder gar nicht geschützt. Solang das so ist, ist ein Buch wie dieser Roman eine Notwendigkeit und je mehr er Anlass zu Diskussionen gibt umso besser! Von meiner Seite eine klare Empfehlung.