Schwarz-Weiß mit Blutspritzern

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angie99 Avatar

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Eigentlich wollte ich um diese Neuerscheinung einen Bogen machen. Doch dann war da meine Neugier. Und eine Leseprobe. Und schon hielt ich es dann doch in den Händen.
Denn: Ich liebe Mareike Fallwickls Schreibstil. Er wirkt frisch, unverkrampft und kommt mit starken Bildern daher.
So wurde ich in den ersten Kapiteln von „Und alle so still“, in denen wir Elin, Nuri und Ruth kennenlernen, richtig eingesogen von dieser Wortgewalt und den vielschichtig gezeichneten Charakteren und ich vermutete ein ähnliches Highlight, wie es „Das Licht ist hier viel heller“ für mich gewesen war.

Doch als die eigentliche Handlung einsetzt – Frauen legen sich im stillen Protest auf den Boden – verlor mich das Buch zusehends. Nachdem die Hauptpersonen nämlich noch differenziert eingeführt wurden, übernimmt hier plötzlich Schwarz-Weiß den Stab. Und wie dieses monochrome Bild aussieht, sorgt nicht weiter für Überraschungen: hier die sich aufopfernden, einfühlsamen und solidarisierenden Frauen. Auf der anderen Seite die machtgierigen, gewalttätigen und depperten Männer.
Dass Frauen mehr Care-Arbeit als Mäner leisten, steht außer Frage, und dass diese noch viel mehr gewürdigt gehört, ebenso. Doch ausgehend von dem spannenden Szenario – was passiert, wenn Frauen sich verweigern? – entwickelt Fallwickl eine Dynamik, die ich immer absurder und blödsinniger fand.
Diese auf Überspitzung fußenden Entwicklungen lassen für mich auch die Figuren immer unglaubwürdiger erscheinen. Nuri, der genug andere Probleme hätte, wird instant zum Frauen- und Allesversteher. Elin, die in ihrem bisherigen Leben höchstens Self-Care-Arbeit geleistet hat, kämpft für Überzeugungen, die ihre Lebenserfahrungen deutlich überschreiten. Elin funktioniert in meinen Augen nur als Abziehbild für einen weiblichen Körper, der endlich endlich versteht, dass Männer scheiße sind und sie ihr Glück nur bei anderen Frauen finden werden. – Zum Glück der Leserinnen in den hinteren Reihen wird diese Botschaft so laut und deutlich herausposaunt, dass sie auch von ihnen verstanden werden kann. Die Stille finde ich jedenfalls nur im Titel, ansonsten wirkt dieses Buch marktschreierisch auf eine platte und unangenehm aufdringliche Art.
Einzig Ruth überzeugt mich, sowohl als Charakter, als auch in der eindringlich-bedrückend geschilderten Arbeitswelt als Krankenschwester. Doch auch sie löst sich nicht aus eigener Willenskraft aus dem sogenannten System, sie ist einfach nur ein weiteres Opfer davon.

Was mir fehlt, ist das Beispiel einer Frau, die sich durch diese Proteste auf ganz praktische und realitätsnahe Weise aus ihrer „normalen“ häuslichen Care-Arbeit herausschält. Wie sie innere und äußere Widerstände überwindet. Eine, die einen möglichen Weg aufzeigt. In der Theorie dieses Romans müsste es sie geben, denn in diesem Buch ist von „immer mehr Frauen“ die Rede. Doch das Nicht-näher-auf-solche-Frauen-eingehen lässt bei mir den Verdacht aufkommen, dass die Autorin darauf selber keine Antwort weiß: Ist es überhaupt irgendwie möglich, die Arbeit an Kindern, Behinderten, Kranken und Alten einfach so niederzulegen?! Gerade auch im Wissen, dass dann alles vor die Hunde geht?!

„Die Männer haben keine Ahnung, was sie gewinnen könnten, wenn sie mitmachen würden“, sagt Nuri (S. 231) Leider bleibt diese Aussage nicht nur leer, sondern wird eher noch konterkariert, indem Fallwickl mit markigen, scherenschnittartigen Sätzen eine idealisierte Frauensolidarität heraufbeschwört und breitschneisig auf die Männer einhackt.
„Und alle so still“ ist ein bewusst provozierendes Werk, welches – das muss man ihm anrechnen – notwendige Diskussionen zu entfachen vermag. Ob es jedoch auf diese Weise auch anregt, geschlechterübergreifend nach konstruktiven Lösungen suchen (und dieses auch finden werden), das wage ich zu bezweifeln.