Stumm und wütend
Auf den ersten Blick scheinen sie völlig unterschiedlich, und doch verbindet diese drei Menschen ein Schicksal: Sie werden vom Patriarchat unterdrückt, gefesselt, in die Zange genommen. Elin ist eine junge Influencerin, deren Bekanntheit mit zahlreichen Anfeindungen und psychischen Angriffen einhergeht. Um dem Druck zu begegnen, hat sie das Ausleben ihrer Sexualität als Ventil gewählt, ein selbstbestimmtes Vorgehen, bis es zu einem Erlebnis kommt, das sie an dieser Freiwilligkeit zweifeln lässt. Ruth arbeitet als Pflegerin, schuftet sich mühsam durch 24-Stunden-Schichten und hat dennoch das Gefühl, ihren Patient*innen nie wirklich gerecht werden zu können. Der Notstand im pflegerischen und Care-Bereich wird an ihr besonders deutlich, als sie in ihren Nachtschichten Prioritäten setzen muss: Wem helfe ich (zuerst)? Der 19-jährige Nuri schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, wird von einer Kurzzeitstelle zur nächsten unter übelsten Bedingungen gereicht. Auch er wird Opfer des Systems. Als sich eine Vielzahl an Frauen in eine stumme Demonstration begibt, ändert sich das Klima – doch die Angst bleibt!
„Das Patriarchat ist ein Versprechen an die Männer, das nie eingelöst wird […]. [E]s richtet uns Männer zugrunde, und wir merken es nicht. […] Wir gehen dabei drauf.“ (S. 266f.)
Ein stiller Protest voller berechtigter Wut auf ein System, das nicht zuhört, das die Augen verschließt. Mareike Fallwickl setzt mit „Und alle so still“ ihren sorgsam und kraftvoll geführten feministischen Kampf fort und legt einen Roman vor, der die Missstände einmal mehr in all ihrer notwendigen Deutlichkeit aufzeigt. Bis hierhin bin ich ganz bei der Autorin – doch sowohl formal als auch erzählerisch bin ich nicht ganz glücklich geworden...
Mareike Fallwickl probiert einiges aus in ihrem neuesten Buch. Sie hat nicht nur drei Protagonist*innen, die die aufgezeigten Probleme von unterschiedlichen Seiten beleuchten, einer von ihnen auch eine männliche Hauptfigur, sondern sie lässt zusätzlich mit der Pistole, der Gebärmutter und der Berichterstattung drei Entitäten zu Wort kommen, die aus dem Inneren des Geschehens als eigentlich stumme Zeugen berichten. Ein Kniff, der mich eigentlich sehr begeistern dürfte, konnten mich doch schon die erzählenden Gegenstände in Gerda Blees' „Wir sind das Licht“ absolut überzeugen. Doch in „Und alle so still“ erscheinen sie in meiner Wahrnehmung eher als eines von zu vielen Vehikeln, um die Botschaften an das Publikum zu übermitteln. Ähnlich erscheinen auch die drei handelnden Hauptpersonen als Brenngläser, die sämtliche Krisen der Gesellschaft in sich vereinen müssen. In meiner Sicht geht dadurch ein Stück weit an Figurentiefe verloren, da sie eher als Projektionsflächen denn als reale Menschen agieren. Ein weiterer Punkt, mit dem ich während der Lektüre haderte, war die formale Ebene: Aufgrund der mannigfaltigen gesellschaftstheoretischen Diskurse, die Fallwickl aufmacht (Care Arbeit, sexuelle Selbstbestimmung, toxische Maskulinität, Strömungen des Feminismus, prekäre Arbeitsverhältnisse etc.), rückt das Romanhafte oftmals so stark in den Hintergrund, dass in meinen Augen ein essayistisches Sachbuch die bessere gewählte Form hätte sein können...
All diesen Punkten zum Trotz gibt es in „Und alle so still“ auch einiges, das mich überzeugen konnten. Die verhandelten Themen in ihrer überbordenden Fülle bringen die präsente Krise gerade durch ihre Masse hervorragend auf den Punkt und zum Ausdruck und zeigen, wie viel (noch immer) falsch läuft. Meine Sympathie mit den benannten Sujets und auch mit der Vehemenz des Aufzeigens ist ungebrochen. Gerade die Aspekte rund um die Missstände im Pflegebereich finde ich hervorragend herausgearbeitet. Doch leider, leider konnte mich das Buch in seiner Romanform final nicht wirklich überzeugen – tut mir leid!
„Das Patriarchat ist ein Versprechen an die Männer, das nie eingelöst wird […]. [E]s richtet uns Männer zugrunde, und wir merken es nicht. […] Wir gehen dabei drauf.“ (S. 266f.)
Ein stiller Protest voller berechtigter Wut auf ein System, das nicht zuhört, das die Augen verschließt. Mareike Fallwickl setzt mit „Und alle so still“ ihren sorgsam und kraftvoll geführten feministischen Kampf fort und legt einen Roman vor, der die Missstände einmal mehr in all ihrer notwendigen Deutlichkeit aufzeigt. Bis hierhin bin ich ganz bei der Autorin – doch sowohl formal als auch erzählerisch bin ich nicht ganz glücklich geworden...
Mareike Fallwickl probiert einiges aus in ihrem neuesten Buch. Sie hat nicht nur drei Protagonist*innen, die die aufgezeigten Probleme von unterschiedlichen Seiten beleuchten, einer von ihnen auch eine männliche Hauptfigur, sondern sie lässt zusätzlich mit der Pistole, der Gebärmutter und der Berichterstattung drei Entitäten zu Wort kommen, die aus dem Inneren des Geschehens als eigentlich stumme Zeugen berichten. Ein Kniff, der mich eigentlich sehr begeistern dürfte, konnten mich doch schon die erzählenden Gegenstände in Gerda Blees' „Wir sind das Licht“ absolut überzeugen. Doch in „Und alle so still“ erscheinen sie in meiner Wahrnehmung eher als eines von zu vielen Vehikeln, um die Botschaften an das Publikum zu übermitteln. Ähnlich erscheinen auch die drei handelnden Hauptpersonen als Brenngläser, die sämtliche Krisen der Gesellschaft in sich vereinen müssen. In meiner Sicht geht dadurch ein Stück weit an Figurentiefe verloren, da sie eher als Projektionsflächen denn als reale Menschen agieren. Ein weiterer Punkt, mit dem ich während der Lektüre haderte, war die formale Ebene: Aufgrund der mannigfaltigen gesellschaftstheoretischen Diskurse, die Fallwickl aufmacht (Care Arbeit, sexuelle Selbstbestimmung, toxische Maskulinität, Strömungen des Feminismus, prekäre Arbeitsverhältnisse etc.), rückt das Romanhafte oftmals so stark in den Hintergrund, dass in meinen Augen ein essayistisches Sachbuch die bessere gewählte Form hätte sein können...
All diesen Punkten zum Trotz gibt es in „Und alle so still“ auch einiges, das mich überzeugen konnten. Die verhandelten Themen in ihrer überbordenden Fülle bringen die präsente Krise gerade durch ihre Masse hervorragend auf den Punkt und zum Ausdruck und zeigen, wie viel (noch immer) falsch läuft. Meine Sympathie mit den benannten Sujets und auch mit der Vehemenz des Aufzeigens ist ungebrochen. Gerade die Aspekte rund um die Missstände im Pflegebereich finde ich hervorragend herausgearbeitet. Doch leider, leider konnte mich das Buch in seiner Romanform final nicht wirklich überzeugen – tut mir leid!