Was passiert, wenn die Frauen einfach nicht mehr mitmachen

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Mareik Fallwickl ist eine Autorin, die dorthin schaut, wo es weh tut. Sie sieht sich die Erschöpfung und Müdigkeit der Frauen an, die durch ihre vielen unbezahlten Tätigkeiten, die sie zusätzlich zur Erwerbsarbeit, auf ihren Schultern tragen, ganz oft am Limit sind. Aber sie verliert auch nicht den Blick für andere, ausgebeutete Gruppen, Migrant:innen, prekär arbeitende, Menschen ohne Lobby.
In „Und alle so still“ erzählt sie von einem Gedankenexperiment. Was passiert, wenn die Frauen einfach aufhören, den Laden am Laufen zu halten.
Es beginnt ohne Ankündigung, ohne Aufruf, leise. Eines Tages liegt eine Gruppe von Frauen vor dem Krankenhaus. Ganz still, ohne Banner, ohne Slogans. Sie liegen nur ruhig da. Und keine weiß, wie es begonnen hat. Die Aktion weitet sich aus. Es werden immer mehr Frauen. Sie verlassen ihre Häuser, bleiben bei einigen, die ihre Häuser zur Verfügung stellen, versorgen sich gegenseitig, aber nicht mehr die Männer und die ganze Gesellschaft.
Erzählt wird chronologisch von Freitag bis Freitag, wir hören mehrere Erzählstimmen. Elin, eine junge Frau und Influencerin, die sich einsam fühlt. Erzogen von ihrer feministischen Mutter wurden ihr Unabhängigkeit und Freiheit gegeben, doch sie fühlt sich wurzellos. Ihre Großmutter Iris, zu der es keinen Kontakt gibt, ist eine der ersten Frauen, die sich einfach hinlegt und aufhört zu funktionieren. Auch sie ist eine der Erzählstimmen. Ruth, Elins Tante, ist Krankenschwester. Bislang wusste Elin nichts von ihrer Existenz, jetzt lernen sie sich kennen. Ruth hat sich aufgeopfert, hat ihren behinderten Sohn gepflegt bis zu seinem Tod, gibt jetzt alles in ihrem Beruf. Gedankt wurde es ihr selten. Dass sich die Schwester abgewendet hat tut weh. Auch Nuri, hier geboren, Sohn einer migrantischen Mutter und eines Vaters, der sich kaputt gerackert hat und der keine Gefühle zeigt. Er ist Schulabbrecher, arbeitet in prekären Jobs, um den Absprung aus seinem lieblosen Elternhaus zu schaffen.
Dieser Roman ist einfach großartig gemacht, perfekt konstruiert, auch sehr realistisch erzählt. Genau so könnte es sein, wenn die Frauen aufhören zu funktionieren. Sehr einfühlsam beschrieben ist die Müdigkeit, die Erschöpfung von allen, die sich kümmern, die wie Nuri versuchen, ihr Leben zu verbessern. Das ewige schlechte Gewissen, weil es nie genug ist, nie schaffbar.
Von mir gibt es eine begeisterte Empfehlung. Das Buch macht auch Mut, Mut, dass sich Frauen solidarisieren, sich gegenseitig unterstützen, zusammenhalten. Ein spannendes Thema, wunderbar umgesetzt.