Welchen Wert hat Care Arbeit?
"Die rufen nichts, die haben keine Schilder. Also klar, sie wollen, dass die anderen Frauen freigelassen werden, aber sie sind so still. Ich hab so was noch nie gesehen. Keine Protestlieder, kein Geschrei. Es ist unheimlich."
Eines Morgens liegen überall Frauen und tun nichts mehr - auf dem Boden vor dem Krankenhaus, im Park, vor den Kindergärten. Elins Oma ist eine von ihnen. Als Elins Mutter davon erfährt, schickt sie die Tochter los, um zu schauen, was mit der Oma los ist. Aber anders als gedacht bringt Elin ihre Großmutter nicht von ihrem Vorhaben ab, sondern legt sich daneben. Die Frauen setzen ein Zeichen, hören damit auf, all die Pflegearbeit zu leisten, die das System am Laufen hält. Waschen nicht mehr ab, betreuen keine Kinder mehr, gehen nicht mehr einkaufen oder zur Arbeit. Währenddessen zeigt sich, wie bröckelig das gesamte System ist. Denn kaum hören die Frauen auf zu arbeiten, häufen sich die Unfälle der Männer im Haushalt, bleiben Bahnen stehen und pflegebedürftige Patienten ungepflegt. Gleichzeitig beginnen die Frauen, sich zu verbinden statt als Konkurrentinnen zu sehen. Und sie nehmen den ihnen zustehenden Platz im öffentlichen Raum ein, den sie so lange den Männern überlassen haben.
Mareike Fallwickls Roman "Und alle so still" ist eine Mischung aus Anklage und Utopie. Wie könnte es sein, wenn sich die Gesellschaft endgültig vom Patriarchat freisagt? Statt Konkurrenz und Wettbewerb Unterstützung und Liebe an erste Stelle setzt? Was würde passieren, wenn Care Arbeit die ihr zustehende Anerkennung und (monetäre) Wertschätzung erhält? Damit trägt die Autorin zu einer wichtigen Debatte bei, die schon lange in der Gesellschaft schwelt, womöglich aber viel lauter geführt werden müsste. Gleichzeitig ist "Und alle so still" die konsequente Fortsetzung von "Die Wut, die bleibt" (sogar einige Figuren tauchen wieder auf). So schreibt Fallwickl im Nachwort, dass "Die Wut, die bleibt" die Realität beschreibt, während "Und alle so still" einen möglichen Zukunftsentwurf darstellt.
Die Kernbotschaften des Romans sind meiner Meinung nach gut herausgearbeitet, die Figuren (Nuri, Elin und Ruth erzählen abwechselnd, dazwischen gibt es kurze Kapitel, in denen Dinge wie die Gebärmutter oder eine Pistole erzählen) überzeugend. Interessant finde ich auch die unterschwellig eingearbeiteten Themen, die neben der Care Arbeit in feministischen Kreisen diskutiert werden. Elin beispielsweise kämpft mit ihrem Äußeren, seit sie erfolgreich als Influencerin arbeitet und fühlt sich ständig bewertet, fernab von jedem eigenen Körpergefühl. Dennoch kommen manche Aspekte meiner Meinung nach zu kurz: Zunächst ist das Nuri, die einzige männliche Erzählstimme, der als Migräne von einem Niedriglohnjob zum nächsten zieht, um sie irgendwie über Wasser zu halten. Er steht stellvertretend für so viele Migranten, die mit befristeten Jobs ohne Sozialversicherung ausgebeutet werden, Als Lieferanten oder Bettenschieber im Krankenhaus. Allerdings ist auch dieses Thema so groß, dass es neben dem Care-Bereich (zu dem es durchaus Verbindungen gibt) ein wenig zu kurz kommt.
Besonders gelungen ist der Autorin hingegen die Darstellung des Notstandes in den Krankenhäusern. Es ist nicht immer leicht zu lesen, unter welchen Umständen Ruth sich als Pflegerin in ihrer Einrichtung aufopfert. Allein ein oder zwei Kapitel aus ihrer Sicht zu lesen dürfte ausreichen, um die Menschen, die in entsprechenden Einrichtungen arbeiten, viel mehr wertzuschätzen. Und an Ruths Beispiel wird auch deutlich, warum Frauen sich diese Ausbeutung antun: Weil sie sich für ihre Patienten verantwortlich fühlen und weil es ja sonst niemand macht. Für mich waren Ruths Kapitel daher mit Abstand die stärksten im Buch.
Mit dem von Fallwickl vertretenen Männerbild kann ich allerdings weniger anfangen. Auch wenn sie einige Ausnahmen anführt - Nuri als empfindsamer, aber maginalisierter Mann; eine Gruppe von Männern, die die Frauen in ihrem Protest unterstützen will - fällt die Gesamtbilanz eher düster aus. Die meisten männlichen Figuren sind entweder vollkommen hilflos ohne die Frauen und können weder Nudelwasser abgießen, noch die Waschmaschine bedienen. Oder aber die Männer treten äußerst gewaltsam auf und wollen die Frauen zwingen, wieder an die Arbeit zu gehen. Sicherlich gibt es solche Männer noch heute. Ich möchte auch gar nicht in Frage stellen, wie viele Ehemänner noch heute ihre Frauen kleinhalten. Dennoch habe ich den Eindruck, dass es gegenwärtig immer mehr Männer gibt, die sich ihrer Verantwortung bewusst werden/sind. Ich frage mich, ob man diese Männer nicht zurückweist, wenn man ein (fast) durchgängig negatives Bild von ihnen entwirft, Zwar deutet der Roman eine entsprechende Entwicklungsmöglichkeit an, die ist aber im Vergleich zur sonstigen Darstellung der Männer eher schwach geraten.
Eines Morgens liegen überall Frauen und tun nichts mehr - auf dem Boden vor dem Krankenhaus, im Park, vor den Kindergärten. Elins Oma ist eine von ihnen. Als Elins Mutter davon erfährt, schickt sie die Tochter los, um zu schauen, was mit der Oma los ist. Aber anders als gedacht bringt Elin ihre Großmutter nicht von ihrem Vorhaben ab, sondern legt sich daneben. Die Frauen setzen ein Zeichen, hören damit auf, all die Pflegearbeit zu leisten, die das System am Laufen hält. Waschen nicht mehr ab, betreuen keine Kinder mehr, gehen nicht mehr einkaufen oder zur Arbeit. Währenddessen zeigt sich, wie bröckelig das gesamte System ist. Denn kaum hören die Frauen auf zu arbeiten, häufen sich die Unfälle der Männer im Haushalt, bleiben Bahnen stehen und pflegebedürftige Patienten ungepflegt. Gleichzeitig beginnen die Frauen, sich zu verbinden statt als Konkurrentinnen zu sehen. Und sie nehmen den ihnen zustehenden Platz im öffentlichen Raum ein, den sie so lange den Männern überlassen haben.
Mareike Fallwickls Roman "Und alle so still" ist eine Mischung aus Anklage und Utopie. Wie könnte es sein, wenn sich die Gesellschaft endgültig vom Patriarchat freisagt? Statt Konkurrenz und Wettbewerb Unterstützung und Liebe an erste Stelle setzt? Was würde passieren, wenn Care Arbeit die ihr zustehende Anerkennung und (monetäre) Wertschätzung erhält? Damit trägt die Autorin zu einer wichtigen Debatte bei, die schon lange in der Gesellschaft schwelt, womöglich aber viel lauter geführt werden müsste. Gleichzeitig ist "Und alle so still" die konsequente Fortsetzung von "Die Wut, die bleibt" (sogar einige Figuren tauchen wieder auf). So schreibt Fallwickl im Nachwort, dass "Die Wut, die bleibt" die Realität beschreibt, während "Und alle so still" einen möglichen Zukunftsentwurf darstellt.
Die Kernbotschaften des Romans sind meiner Meinung nach gut herausgearbeitet, die Figuren (Nuri, Elin und Ruth erzählen abwechselnd, dazwischen gibt es kurze Kapitel, in denen Dinge wie die Gebärmutter oder eine Pistole erzählen) überzeugend. Interessant finde ich auch die unterschwellig eingearbeiteten Themen, die neben der Care Arbeit in feministischen Kreisen diskutiert werden. Elin beispielsweise kämpft mit ihrem Äußeren, seit sie erfolgreich als Influencerin arbeitet und fühlt sich ständig bewertet, fernab von jedem eigenen Körpergefühl. Dennoch kommen manche Aspekte meiner Meinung nach zu kurz: Zunächst ist das Nuri, die einzige männliche Erzählstimme, der als Migräne von einem Niedriglohnjob zum nächsten zieht, um sie irgendwie über Wasser zu halten. Er steht stellvertretend für so viele Migranten, die mit befristeten Jobs ohne Sozialversicherung ausgebeutet werden, Als Lieferanten oder Bettenschieber im Krankenhaus. Allerdings ist auch dieses Thema so groß, dass es neben dem Care-Bereich (zu dem es durchaus Verbindungen gibt) ein wenig zu kurz kommt.
Besonders gelungen ist der Autorin hingegen die Darstellung des Notstandes in den Krankenhäusern. Es ist nicht immer leicht zu lesen, unter welchen Umständen Ruth sich als Pflegerin in ihrer Einrichtung aufopfert. Allein ein oder zwei Kapitel aus ihrer Sicht zu lesen dürfte ausreichen, um die Menschen, die in entsprechenden Einrichtungen arbeiten, viel mehr wertzuschätzen. Und an Ruths Beispiel wird auch deutlich, warum Frauen sich diese Ausbeutung antun: Weil sie sich für ihre Patienten verantwortlich fühlen und weil es ja sonst niemand macht. Für mich waren Ruths Kapitel daher mit Abstand die stärksten im Buch.
Mit dem von Fallwickl vertretenen Männerbild kann ich allerdings weniger anfangen. Auch wenn sie einige Ausnahmen anführt - Nuri als empfindsamer, aber maginalisierter Mann; eine Gruppe von Männern, die die Frauen in ihrem Protest unterstützen will - fällt die Gesamtbilanz eher düster aus. Die meisten männlichen Figuren sind entweder vollkommen hilflos ohne die Frauen und können weder Nudelwasser abgießen, noch die Waschmaschine bedienen. Oder aber die Männer treten äußerst gewaltsam auf und wollen die Frauen zwingen, wieder an die Arbeit zu gehen. Sicherlich gibt es solche Männer noch heute. Ich möchte auch gar nicht in Frage stellen, wie viele Ehemänner noch heute ihre Frauen kleinhalten. Dennoch habe ich den Eindruck, dass es gegenwärtig immer mehr Männer gibt, die sich ihrer Verantwortung bewusst werden/sind. Ich frage mich, ob man diese Männer nicht zurückweist, wenn man ein (fast) durchgängig negatives Bild von ihnen entwirft, Zwar deutet der Roman eine entsprechende Entwicklungsmöglichkeit an, die ist aber im Vergleich zur sonstigen Darstellung der Männer eher schwach geraten.