Wie viel Hass passt in ein Frauenleben?

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leasophia Avatar

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Der neue feministische Gesellschaftsroman von Mareike Fallwickl, der zur rechten Zeit kommt. Klug, wütend und so so laut.

Wenn die Welt kippt, auf welcher Seite willst du stehen?
Elin sehnt sich nach einer besten Freundin. Das Leben im Wellnesshotel, der Ruhm als Influencerin und die damit einhergehende Misogynie und der Hass machen einsam. Sie hat mit Panikattacken zu kämpfen, schläft mit Männern, weil es leicht ist und fühlt sich unter Frauen unwohl. Nachdem sie eine Gewalterfahrung macht, schickt ihre Mutter sie zu allem Übel zu ihrer Großmutter, die sie nie kennengelernt hat und der es anscheinend nicht gut geht. Das, was Elin dort erwartet, hätte sie sich jedoch nie träumen lassen.
Nuri hält sich mit mehreren Jobs über Wasser. Als Barmann, Bettenschubser für eine Leiharbeitsfirma und als Lieferant. Körperkraft gegen Geld. Das ist sein Schicksal und das vieler anderer, die keine Lobby haben. Er hat Angst, dass andere sein Blätterteigleben auseinandernehmen könnten und sehen, wie er lebt. Als er feststellt, dass sein Erspartes weg ist, verlässt er fluchtartig das Haus seiner Eltern. Aber wohin kann einer wie er gehen?
Ruth ist Krankenschwester und kann nicht mehr. Beim Singen in ihrem Frauenchor lebt sie auf, fühlt sie sich wohl. Und dann lernt sie Barbara, die mit ihr im Chor singt, besser kennen und auf einmal ist sie nicht mehr allein, ist nicht die, die sich um andere kümmert sondern die, um die sich gekümmert wird. Und dann kommt der Anruf.

Und da liegen sie, die Frauen. Liegen vor dem Krankenhaus, rühren sich nicht. Das ist der Anfang.

"Sie schaut zu den Frauen, die sich nicht rühren und nicht rufen, die keine Schilder haben und keine Parolen [...]."

Und dann legen die Frauen ihre Arbeit nieder und beginnen ihren stillen Protest. Es entsteht ein Solidaritätsgefühl, eine Bewegung, die immer größer wird. Ruth, Elin und Nuri mittendrin. Jetzt müssen sie entscheiden, auf welcher Seite sie stehen, in welcher Welt sie leben möchten. Und wie sie für diese Welt kämpfen können.
Aber was ist, wenn die Sitution eskaliert? Was mit der Politik, die einen solchen Streik nicht duldet? Und wie viele statuierte Exempel passen in ein Krankenhaus?

Ich dachte, dass ein neues Buch von Mareike Fallwickl nicht noch krasser werden kann als "Die Wut die bleibt". Ich habe mich getäuscht. Und so entwickelt "Und alle so still" schnell einen Sog. Doch da ist nicht nur die reine Handlung, da sind auch die Zwischensequenzen, die erst ganz am Schluss ein Gesamtbild abgeben: Die Pistole, die ungenutzt in der Kommode liegt und töten will, die Gebärmutter, die für Männer unerreichbar ist und deshalb unter Kontrolle gebracht werden muss, die Berichterstattung, die die Demokratie verteidigen muss.

Mit ihrem neuen Roman legt Fallwickl den Finger mehr denn je in die Wunde unseres kaputten Systems. Ein System, eine Industrie die auf der Arbeit von Frauen beruht. Ich habe so viel genickt, war so wütend und hätte einigen Männern im Buch gerne eine geklatscht.

Denn wie sagt Elin? "Die Gesellschaft hält es nicht aus, wenn Frauen für sich einstehen, sich nehmen, was sie wollen."

Was der Roman zeigt: Es braucht keine Worte für einen Protest, nur einen Anfang. Und: Die Liebe die entsteht, wenn Frauen sich zusammenschließen, solidarisch miteinander sind. Denn "das Grundgefühl zwischen Frauen ist Liebe".

Ich habe zu meinem Freund gesagt: "Solltest du nur ein Buch dieses Jahr lesen, dann das hier." Und genau das empfehle ich euch auch.