Ruth Holländers erster Fall

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regenprinz Avatar

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Dieser Auftaktband zu einer neuen Krimi-Reihe hat mir insgesamt gut gefallen. Ruth Holländer, die kurz vor ihrem 50. Geburtstag steht, ein Bistro betreibt und in diverse Auseinandersetzungen mit ihrer Familie verstrickt ist (nicht-zahlender Exmann, alt werdende Eltern, ungeliebte Schwester, erwachsen werdende Kinder ...) ist eine recht sympathisch gezeichnete Figur mit Ecken und Kanten bzw. Schwächen und kleinen Macken. Dadurch wirkt sie relativ authentisch. Als sie unerwartet zur Schöffin berufen wird, ist sie zunächst alles andere als begeistert. Doch dann fesselt sie die tragische Geschichte hinter diesem Fall, zumal es Verknüpfungen zu ihrem Leben gibt, denn die ermordete kurdisch-stämmige Schülerin Derya ging auf dieselbe Schule wie Ruths Tochter ...
Ich fand die Handlung spannend erzählt, was vor allem daran lag, dass die Perspektive öfter mal wechselte, d.h. weg von Ruth und hin zu den anderen Figuren - z.B. zu Derya, dem Opfer, zu Valentin, ihrem Freund oder sonstigen. So konnte man als Leser intensiv in die Handlung einsteigen und war bei wesentlichen Szenen dabei. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn der Fokus allein auf Ruth als Schöffin gelegen hätte. Aber genau deshalb finde ich schon den Klappentext irreführend - denn tatsächlich löst Ruth hier keinen Fall, sie ermittelt auch nicht, sie begibt sich allerhöchstens ansatzweise auf Spurensuche (falls man es so nennen möchte, dass sie mal am Tatort spazierengeht und ihren Exmann, den Journalisten, darum bittet, ihr die alten Zeitungsartikel zum Mordfall zu geben). Größtenteils bleibt sie, was den Fall angeht, jedoch passiv und alles, was passiert, entwickelt sich völlig ohne ihr Zutun. Innerhalb der Geschichte ist das für mich auch völlig stimmig - ich bin nur unter falschen Erwartungen an das Buch herangegangen. Und ehrlich gesagt, fühle ich mich da schon ein bisschen verschaukelt ...
Mein zweiter Kritikpunkt ist, dass ich das Verhalten der Familie des Opfers so gar nicht nachvollziehen kann. Warum tun sie denn so gar nichts, um die Mordanklage gegen den Bruder zu entkräften? Ich hatte lange Zeit die Theorie, dass Deryas Eltern und Bruder absichtlich schweigen und mir dafür alle möglichen Gründe überlegt - aber davon blieb am Ende keiner übrig. Im Buch selbst habe ich auch keinen gefunden und somit bleibt hier ein großes Fragezeichen bei mir zurück. Schade ...
Insgesamt jedoch überwiegt klar der positive Eindruck, es war spannend und unterhaltsam geschrieben und die Figuren haben absolut Potential für weitere Fälle. Ob Ruth wohl schon im nächsten Band den Staatsanwalt bekommt? :-)