Schöffin wider Willen

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kikiwee17 Avatar

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"Unschuldslamm" von Judith Arendt erscheint am 4.Januar 2014 im Ullstein Taschenbuch Verlag.
Das Cover vermittelt eine düstere Stimmung. Ein einfaches Holzhaus mit schneebedecktem Dach in einer kargen Landschaft. Der Himmel lässt ein heraufziehendes Unwetter erahnen.
Im ersten Kapitel lernt man die 16jährige Derya kennen, sie wurde in Berlin geboren und ist dort aufgewachsen hat aber kurdische Wurzeln. In diesen Sommerferien ist sie mit ihrer Familie in ein kleines Dorf in Anatolien gereist, da ihr Vater und ihr Bruder dort die Versöhnung zweier zerstrittener Clans in die Wege leiten wollen. Derya hält nicht viel von Familientraditionen und interessiert sich auch wenig für sie Pläne von Bruder und Vater - ein Fehler? Im nächsten teil des Buches wird die Protagonistin, Ruth Holländer, in die Handlung eingeführt. Bistrobesitzerin, geschieden, ein erwachsener Sohn außer Haus und eine 16jährige Tochter. Ruth ist etwas chaotisch, aber mit ihrem Leben zufrieden. Da flattert ihr der Bescheid ins Haus, daß sie ab 1. Januar als Schöffin bei Gericht beisitzen soll. Lust und Zeit hat sie dazu eigentlich überhaupt nicht, aber ihr Umfeld reagiert auf ihren Unwillen mit Unverständnis und so lässt sie den Termin auf sich zukommen. Am Tag der ersten Verhandlung geht sie völlig unvorbereitet und ahnungslos, was ihre Aufgaben als Schöffin betrifft, zu Gericht.
Beisitzen wird sie bei einem Mordfall. Ein junges Mädchen mit kurdischen Wurzeln wurde im vorigen Jahr erstochen, vermutet wird ein Ehrenmord, in Untersuchungshaft sitzt ihr Bruder Aras. Schon bald hat Ruth Zweifel an der Schuld des jungen Kurden.
Ich habe das Buch in zwei Tagen durchgehabt. Es war sehr spannend und hat ein sehr interessantes Thema behandelt. Man fragt sich, inwiefern man Kinder, die in der "westlichen Welt" aufgewachsen sind und denen auch entsprechende Freiräume gewährt wurden, plötzlich traditionellen Zwängen unterwerfen kann, ohne daß dies in einer Katastrophe endet. Derya war nicht gewillt sich Zwangsverheiraten zu lassen und hat dies auch laut und deutlich kundgetan, sie wollte ihr eigenes Leben leben, mit ihrem deutschen Freund zusammen sein und wie die anderen Mädchen in ihrem Alter ihre Freiheit genießen. Doch wer hat sie dafür so gehasst, adßer sie getötet hat?
Ich fand die Charaktere in diesem Buch ausgesprochen sympathisch. Ruth Holländer, mit den Sorgen und Ängsten einer alleinerziehenden Mutter, den unzuverlässigen Exmann, die zuverlässige Mitarbeiterin und Freundin im Restaurant. Auch mit dem trauernden Freund Valentin habe ich mitgelitten. Er lebt zwar in einer der "besseren Gegenden", was aber nicht heißt, das die Familie keine Probleme hat. Hinter der Fassade erblickt man eine psychisch kranke Mutter mit Alkoholproblem, einen Vater, der unter dem Pantoffel seiner Frau steht und ebenfalls gern zur Flasche greift und den 10jährigen Bruder Jonas, zu dessen Beschützer sich Valentin berufen fühlt. Und auch den Verlust von Derya's Familie habe ich mitempfunden, wobei man sich hier immer die Frage stellt, wieviel Schuld diese an den ganzen Vorfällen selbst trägt.
Ein tolles Buch, sehr flüssig geschrieben. Von mir gibt es in jedem Fall eine Leseempfehlung!