Eindrucksvolle persönliche Zeitreise in die siebziger und achziger Jahre der Bundesrepublik

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honigbaerchen Avatar

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Das Cover des Buches und den Titel finde ich sehr gelungen.

Der Roman beginnt in den siebziger Jahren und endet Anfang der achziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland und beschreibt die Unruhen und politischen Umbrüche der Zeit aus den persönlichen Perspektiven jeweils der beiden Familien des Bürgermeisters und des Schokoladenfabrikanten des kleinen hessischen Städtchens Mainheim, in der Nähe Frankfurts.
Hauptprotagonistinnen sind Caro, die Tochter des Schokoladenfabrikaten, die Adoptivtochter Claire-ein vietnamesisches Waisenkind aus dem evangelischen Mainheimer Kinderheim- und Minka, die Tochter des Bürgermeisters.

Die Mädchen werden früh in ihrer kleinen Stadt mit vergiftetem Flusswasser durch Einleitung ungeklärter Chemie-und Abfallgewässer durch die Schokoladen-und Chemiefabrik, giftigen Dämpfen, üble Gerüche, verödeten Landschaften und Tiersterben durch Planierung der Rückzugs-und Feuchtgebiete, Sterben der Umwelt und Natur konfrontiert. Außerdem stoßen sie auf erschreckende Tierversuche und später auf Medikamentenversuche und Experimente an Heimkindern.
Caro recherchiert später, dass es gesetzlich nicht eindeutig war, dass die Versuche Anfang der 70iger illegal waren. Dies wurde erst sehr viel später gesetzlich festgelegt.

Die skrupellose "Ärztin Lavalette" ordnet jedenfalls Ethik Menschlichkeit und Gewissen dem Dienst der Wissenschaft und ihrer Karriere unter. Sie hat kein schlechtes Gewissen, sondern sie fühlt sich als "Schöpferin von morgen, die die Welt der Zukunft gestaltet, Erbkrankheiten ausmerzt", also als ein guter Engel.
Hier ist meines Erachtens eine Anlehnung an dien Nationalsozialismus zu sehen, der es ebenfalls so gehandhabt hatte. Das es sich um ein "kirchliches Heim" handelt, in dem der Missbrauch stattfindet, ist zusätzlich zu vermerken.

All dies ist auch möglich weil ein Netzwerk bestehend aus sechs Kumpels bzw,Skatbrüdern ,u.a. der Bürgermeister, der Schokoladenfabrikant, Direktor des Chemie-und Pharmariesen, gemeinsam "klüngeln". Die Schuld und Verantwortung an dem Unfall im Schwimmbad Anfang der 70iger wird vertuscht und Mutter und Opfer werden außer Sicht abgeschoben.

Durch den vom Bürgermeister herbeigeführten Strukturwandel -es besteht Anfang der 80iger Jahre in Mainheim eine zerklüftete Industrielandschaft mit Arbeiterstadt und schädlichen Umweltfeinflüssen, Überalterung, Abwanderung - fragt man sich später, wer überhaupt noch in Mainheim wohnen möchte. Das muss sich auch der ehemals auf den Strukturwandel so stolze Bürgermeister fragen.

Politische Hintergründe der Zeit sind die Proteste des Vietnamkrieges, Aufnahme von vielen Flüchtlingen nach Ende des Vietnamkrieges, Industrieunfälle in Seveso, Unruhen und Sprengstoffanschläge durch Rechtsextreme, dann wieder der kalte Krieg, Rüstungswettlauf und Afghanistan.
Die Aufzählung könnte man sicherlich bis heute fortführen.

Jede der Mädels im Roman geht seinen Weg und aus der Rebellin Minka wird eine Kommunalpolitikerin für die Grünen.
Die Friedensbewegung hat ihren Anfang Beginn der 80iger Jahre und der Erhalt von Natur und Umwelt rückt endlich mehr in das Bewusstsein der Menschen.

Der Roman ist sehr gut geschrieben und berührt sehr viele Probleme.
Durch die einzelnen Sichtweisen kann man sich die Figuren sehr gut und persönlich vorstellen. Es wurde bei mir jedenfalls anschauliches Kopfkino ausgelöst.

Ich halte dieses Buch für sehr wichtig und eindringlich und ich kann jedem nur empfehlen, es zu lesen.