Die rosarote Brille

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fraedherike Avatar

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In ihrem Roman „Unser wirkliches Leben“ (OT: A Very Nice Girl, aus dem Englischen von Sandra Voss) erzählt Imogen Crimp die Geschichte der 24-jährigen Anna, die als Sängerin in einer Bar arbeitet, um über die Runden zu kommen, wenigstens die Miete und Unterhalt zahlen zu können. Eines Abends lernt sie den um einige Jahre älteren Max dort kennen, Businessmann durch und durch; Geld spielt für ihn keine Rolle. Er lädt sie ein, in sein Leben zu gucken, führt sie in teure Restaurants und Hotels aus, kauft ihr Kleidung – und gewinnt sie ganz für sich. Sie ist verliebt, alles ist wunderbar, doch langsam häufen sich die Hinweise, dass er sie nur benutzt und es nicht ernst mit ihr zu meinen scheint. Aber sich das einzugestehen, erforderte einiges an Chuzpe, denn sie ist abhängig von ihm, finanziell wie emotional. Es ist ein toxischer Teufelskreis. Doch sie will weg, sie muss weg, es gibt keinen anderen Weg.
Es ist eine Geschichte über Machtverhältnisse, Abhängigkeiten und die fatalen Folgen der sozialen Medien, in der jede*r sein kann, was er*sie will – oftmals nur nicht man selbst. Es ist eine digitale Masquerade, in der naive Menschen wie Anna nur verlieren können. Sie glaubt Max alles, gibt sich ihm voll und ganz hin und versinkt in einem toxischen Sumpft aus Machtmissbrauch und Unterordnung, ein klassischer Klassenkampf.
Die Art und Weise, wie Imogen Crimp ihre Charaktere zeichnet, sie aufeinander treffen lässt, hat mir gut gefallen, ich konnte mich in einigen Zügen auch mit Anna identifizieren. Teilweise verzweifelt ich ob der naiven Handlungsweise der Protagonistin, ich wollte schreien, sie zurückrufen, es war ein innerer Kampf. Der Schreibstil hat mir gut gefallen, der Wechsel aus nüchtern-klassischer Betrachtung und frechem, jungen Sprachgebrauch war sehr eingängig und lustig.
Ein sehr spannendes und wirklich tollen Romandebüt mit einigen Schwächen, aber rundherum unterhaltsam!