Eine Liebe, die alles verändert

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jidewi Avatar

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Ich muss ehrlich sein: Dieser Roman und ich, wir befinden uns in einer andauernden Hassliebe. Wäre dieser Roman eine Freundin, dann hätten wir uns im Verlauf heftig gestritten, um uns dann schluchzend in die Arme zu fallen, ihre Erzählungen hätten mich stellenweise zu Tode gelangweilt, genervt und mich gleichzeitig in den emotionalen Wahnsinn getrieben. Ihre Naivität hätte mich sprachlos gemacht und ihre Beratungsresistenz würde mich auf Abstand halten. Ihre Schilderungen wirken erwachsen, reflektiert, um dann als kindisches Kartenhaus zusammenzufallen und zum Nullpunkt zurückzuwandern. Alles auf Anfang, jedes Gespräch revidiert, jeder Rat über den Haufen geworfen. Und ich muss zugeben: Sie ist eine geborene Blenderin, gut darin, mich immer wieder glauben zu lassen, dass sie zurechtkommt, dass sie das alles im Griff hat. Sie ist so gut, weil sie ist wie ich, denn so war ich auch, als ich jung war und das eigene Spiegelbild ist zumeist das unangenehmste.

Der Debütroman "Unser wirkliches Leben" von Imogen Crimp begleitet eine junge Frau von der ersten Begegnung mit einem schicksalhaften Mann hin zur Entwicklung dieser zwischenmenschlichen Beziehung, die ihr Leben aus den Angeln hebt. Anna ist Mitte zwanzig, Opernsängerin, und träumt von ihrem Durchbruch in London. Bis dahin verdient sie ihren Unterhalt mit Gelegenheitsjobs, unter anderem in einer Jazzbar, in der sie auf Max trifft. Anna spürt direkt, dass Max anders ist und lässt sich in seinen Bann ziehen, ohne zu begreifen, dass diese Beziehung weit mehr Einfluss auf ihr Leben hat, als sie zu glauben vermag.

Der Stil springt zwischen plätschernd leicht zu unangenehm schwer zu langatmig, langweilend. Und das polarisiert, stößt ab und fesselt wiederum. Der Roman ist komplett dieser toxischen Beziehung nachempfunden, wirft den Leser aus der Bahn und holt ihn wieder hinein. Schubst ihn von sich, um ihn dann wieder hoffnungsvoll an sich zu binden. Die Handlung ist komplex, die verschiedenen Stufen wunderbar gezeichnet und mittendrin Anna, die alle denkbaren Veränderungen durchläuft, sich windet und kämpft, leidenschaftlich liebt und hasst, ehrgeizig ihre Ziele vorantreibt und sich gleichzeitig zurückwerfen lässt. Das ganze Paket ist nicht leicht, nichts für schwache Nerven und teilweise einfach nur grausam, aber dazu sei gesagt: Das ist die Realität, denn so sieht sie aus, diese Beziehung, die weder Fisch noch Fleisch ist, die sich gegen eine Einordnung in der Schublade mit Händen und Füßen wehrt, dich sogar in die Hand beißt aus Verzweiflung, um dir dann liebevoll ein Pflaster auf die Wunde zu kleben. Es braucht diese brachialen Schilderungen und das ist ein Zeichen für die Schreibkunst, die Imogen Crimp nachweislich beherrscht. Eine Empfehlung für alle, die von polarisierenden Geschichten angezogen werden und sich empathisch mit dem Thema der toxischen Bindung auseinander setzen wollen.