Nicht wirklich.

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Inhalt:
Anna lebt im schäbigsten Einliegerzimmer Londons und macht eine Ausbildung zur Opernsängerin an einem renommierten Konservatorium. Sie ist immer knapp bei Kasse und schlägt sich mit mehreren Jobs durch. Bei einem davon lernt sie Max kennen, einen wohlhabenden Banker, fünfzehn Jahre älter als sie selbst, mit dem sie eine sexuelle Beziehung eingeht. Innerhalb dieser Beziehung wird immer wieder deutlich wie steil das Machtgefälle zwischen den beiden ist. Aus diesem Gefälle entsteht in Kombination mit Max’ eigenwilligem Charakter ein toxisches Abhängigkeitsverhältnis. Anna verheddert sich mehr und mehr in einem Netz aus ihrer Affäre mit Max, ihrer finanziellen Mittellosigkeit, dem kräftezehrenden Konkurrenzkampf an der Musikhochschule und anderen schwierigen Nebenschauplätzen in ihrem Leben.

Meine Meinung:

Ich habe an mehreren Stellen gelesen, dass Imogen Crimp mit Sally Rooney verglichen wird. Nun kenne ich sowohl die eine als auch die andere und kann das nicht bestätigen. Beide sind junge Frauen, kommen aus dem Britischen und schreiben Geschichten, die sich an eine ähnliche Zielgruppe richten. (Außerdem verzichten sie jeweils auf bestimmte Satzzeichen.) Das war’s dann aber auch mit den Ähnlichkeiten.
Während ich Sally Rooney Aufarbeitung des aktuellen Zeitgeists als seltsam tröstlich empfand, habe ich mir bei „Unser wirkliches Leben“ gewünscht, dass dieses Buch möglichst wenig mit dem realen Leben zu tun habe. Im Zentrum der Geschichte steht das Verhältnis von Anna und Max. Die Aufarbeitung ihrer Beziehung als übergeordnetes Thema ist es auch, was mich zum Lesen bewogen hat. Das Problem ist nur, dass ich diese Beziehung überhaupt nicht verstanden habe. Max ist für mich eine einzige große Red Flag. Ich konnte zu keinem Zeitpunkt nachvollziehen, wieso Anna ihm so erlegen ist, wenn es ihr nicht primär um’s Geld geht, und das tut es laut Buch nicht. Er behandelt Anna wie ein kleines, naives Mädchen, nimmt sie kaum ernst. Dabei hat er gar kein Charisma, ist letztlich nichts anderes als ein verwöhnter, launischer Mann in seinen mittleren Jahren. Ich habe keine Anziehung zwischen den beiden gespürt, nicht einmal sexuelle Spannung, nur ein unerklärliches Festhalten an dieser Beziehung. Das ist mir für einen solchen Handlungsschwerpunkt einfach zu wenig. Warum ausgerechnet dieser Mann? Was hat er an sich, dass eine junge Frau sich ihm unterwirft? Wo liegt sein Zauber, das Betörende? Der Text beantwortet diese Fragen nicht.
Das Buch bietet noch weitere Handlungsstränge, die Konflikte aus Annas Leben bearbeiten. Vordergründig geht es um die musikalische Ausbildung, die Anna absolviert, um den ungesunden Konkurrenzkampf, und das große finanzielle Risiko, dem sich die Studierenden aussetzen. Da sind aber auch noch die extrem prekären Wohnverhältnisse, in denen Anna gemeinsam mit ihrer Mitbewohnerin lebt. Zwischen den beiden besteht außerdem eine toxische Freundschaft. Obendrein gibt es dann noch eine gestörte Beziehung zu Annas Mutter, einschließlich einhergehendem Kindheitstrauma.
Die Dialoge im Buch habe ich anfangs als sehr klug und spannend empfunden und das sind sie auch. Es entsteht durch sie ein gewisser Lesesog, man möchte wissen, wie es weitergeht. Im Verlauf wirkten sie jedoch zunehmend bedrückend auf mich. Es geht immer und immer wieder um moderne Beziehungsformen, um Geldsorgen, um Kunst und Musik, und dabei dreht sich alles um sich selbst und wird bis ins Kleinste auserzählt.
Vielleicht hätte mir das Buch besser gefallen, wäre es kürzer gewesen und hätte sich stärker fokussiert. Ich habe das Gefühl, die Autorin wollte zu viel in einem Roman unterbringen, und obwohl dieser umfangreich ist, verliert er sich zwischen all diesen Themen.

Fazit:
Ein schwieriges Buch, das durchaus spannend ist und definitiv seinen Reiz hat, mich aber leider nicht überzeugen konnte. Ich habe das Lesen als sehr beklemmend empfunden. Möglicherweise war das auch die Absicht der Autorin, mich hat sie damit nur leider nicht erreichen können.