Toxische Männlichkeit

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katrinb Avatar

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Die angehende Opernsängerin Anna lebt in materiell prekären Verhältnissen und muss sich ihr Leben als Sängerin in einer Bar finanzieren. Dabei lernt sie den undurchschaubaren Banker Max kennen. Er ist wesentlich älter als sie, reich und bietet Anna ein luxuriöses Leben. Anna ist auf unerklärliche Weise von Max angezogen und eine toxische Beziehung beginnt, in der Anna immer abhängiger von Max wird, der sie durch seine zunehmend manipulative Art immer mehr verunsichert.
Der Schreibstil ist flott und modern und so lässt sich das Buch in einem Rutsch durchlesen. Die bei den Dialogen fehlenden Anführungszeichen irritieren zuerst, mit der Zeit gewöhnt man sich aber daran. Die Figuren fand ich etwas klischeehaft gestaltet. Anna ist das nette Mädchen, das gefallen möchte - im Original lautet der Buchtitel "A very nice girl", was es sehr gut trifft. Max ist attraktiv, geheimnisvoll, reich und lädt Anna in teure Restaurants an - Pech nur, dass er ein echter Fiesling ist, der Anna auf Abstand hält und keine Gelegenheit auslässt, sie zu demütigen.
Der Autorin gelingt es sehr gut, die Mechanismen, die eine toxische Beziehung auszeichnen, offenzulegen. Mit gutem psychologischem Einfühlungsvermögen behandelt sie Themen wie Abhängigkeit, Liebe, Dominanz und Emanzipation und seziert scharfsichtig und unerbittlich die Beziehung zwischen Mann und Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft. Wenn das nicht schon allein lesenswert wäre: Der Blick hinter die Kulissen des Opernbetriebs ist es allemal. Die Herangehensweise an eine Rolle, die Konkurrenz unter den Kolleg*innen sowie der tägliche Überlebenskampf des Großteils der Sänger*innen - das alles war für mich sehr interessant. Die Autorin hat Operngesang studiert und weiß, wovon sie schreibt - ich habe das starke Gefühl, dass das auch auf ihre Schilderung der toxischen Männlichkeit zutrifft.
Ein klare Leseempfehlung!