Leise, stimmungsvolle Liebesgeschichte, die eine komplexe moralische Frage aufwirft, ohne zu moralisieren

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Es geht um eine zarte, stimmungsvolle Liebesgeschichte zwischen Dumont und Florence. Es ist wunderschön zu lesen, wie die beiden sich langsam kennenlernen und ganz, ganz vorsichtig annähern. Der Titel beschreibt sehr passend, wie beide sich nach einem Menschen sehnen, der sie in den Arm nehmen kann, für sie da ist, zärtlich ist. Wo man einfach man selbst sein kann. Dabei versteht es der Autor, eine angenehme innere Spannung aufzubauen. Ist Florence die gesichtslose Frau vom anderen Ende der Leitung der Telefonseelsorge? Werden sie sich wiedersehen? Und ganz subtil werden Hinweise eingebaut, dass es noch mehr über Florence zu wissen gibt, als es auf den ersten Blick erscheint.

Und als Florences schweres Schicksal transparent wird, fragt man sich, wie man selbst in ihrer Situation damit umgegangen wäre und wie man an seiner Stelle reagieren würde. Eine sehr komplexe Frage, die einen stark beschäftigt und auf die es keine klare Antwort gibt. Und auch Ehrenhauser lässt die Frage offen und driftet nicht in ein moralisierendes richtig-falsch-Schema ab, was mir sehr gut gefallen hat.

Der Autor versteht es ganz wunderbar, Stimmungen zu kreieren, in die man sich hineinversetzen kann: Wie es sich anfühlt, im Nachtdienst einer Telefonseelsorge zu sitzen, wie die Stimmung auf dem Weg nachhause ist, während die Stadt langsam erwacht, wie sich der Tag darauf anfühlt, wenn man nicht schlafen konnte. Dazu werden immer wieder Bilder gemalt, die Dumonts aktuelle Verfassung gut widerspiegeln, wie der einsame, verhungerte und etwas scheue Fuchs zu Beginn oder das vertrocknete Reisig, dass in der Glut knackend verbrennt.

Und auch wenn diese Bilder versuchen, den Zustand von Dumont widerzuspiegeln bekommt man dennoch nicht viel Innensicht, wie es ihm wirklich geht, was er empfindet. Findet er Florence anziehend? Hat er sich verliebt? Offenbar, aber das erfährt man eher aus seinen Handlungen, als dass sein Gefühlsleben beschrieben wird. Auf der anderen Seite drückt das vielleicht seine Distanz zu sich selbst aus und sein selbstzweiflerisches Wesen. Das zeigt sich auch daran, dass er immer wieder feststellt, welche Art von Mann er NICHT ist. Aber was ist er für ein Mann?

Auf jeden Fall ist er ganz anders als die Supermänner, die sonst in einem großen Zweig des Romance-Genres skizziert werden, was mir sehr gut gefallen hat. Hier zeigt sich ein echter Mann, mit seiner Introvertiertheit, Bescheidenheit, Zögerlichkeit, seinen zwiespältigen Gefühlen, Unsicherheiten, der nicht immer alles im Griff hat. Er beschreibt sich als öde, stellt fest, dass er im Leben nichts erreicht hat. Aber er ist auch so liebenswert wahrhaftig, feinfühlig und selbstreflektiert.

Ich empfand es als sehr reizvoll, eine Liebesgeschichte aus der männlichen Perspektive geschildert zu bekommen, die gesichert von einem Mann verfasst wurde, in einem Genre, das sonst von Schriftstellerinnen und weiblichen Pseudonymen dominiert wird. Bei diesen fragt man sich manchmal als weibliche Leserin, ob die männliche Perspektive in den Büchern authentisch getroffen wurde.

Es gibt ein paar Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind, aber für mich die Qualität der Geschichte nur geringfügig beeinträchtig haben:
Im Mittelteil sind mir ein paar Szenen zu schematisch im Stil einer Film-Romcom gewesen, die zeigen sollen, wie Dumont und Florence zusammen aufblühen. Das passte für mich nicht so ganz in die Tonalität der Geschichte und war mir von der Ausgestaltung her zu klischeehaft für ein ansonsten so authentisch wirkendes Buch.

Manchmal bin ich mit der Perspektive nicht klargekommen. Im Wesentlichen wird die Geschichte aus der Sicht von Dumont im Personalen Erzähler oder übergreifend aus dem Auktorialen Erzähler heraus geschildert. Manchmal wechselt die Perspektive aber auch für wenige Sätze zu Florences Perspektive. Das passte für mich nicht so richtig in den Lesefluss.

Kleiner Disclaimer: Wenn du das Buch gelesen hast, wirst du merken, dass eine meiner Einstufungen im Kategoriensystem nicht ganz stimmig ist. Ohne zu viel verraten zu wollen, geht es hier um eine Grauzone, die sich eigentlich nicht so eindeutig einstufen lässt, daher habe ich die unauffälligste Variante ausgewählt, um nichts zu spoilern.
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Kategorisierung
📚 Romance-Sub-Genre: Contemporary
👥 Altersgruppe der Hauptfiguren: Adult
➿ Plot-Trope: Afraid to commit, Dark secret, Long-distance love, Strong female main character
🌎 Setting-Trope: Holiday
⚤ Geschlechterkonstellation: Hetero
💞 Beziehungsstruktur: Monogam
🔪 Spannung: Medium
🧠 Psychologische Tiefe: Medium
🧐 Glaubwürdigkeit: Glaubwürdig
❤️ Sympathiefaktor der Hauptfiguren: Sympathisch
😆 Humor: Ernst
👫 Klassisches Rollenmodell: Weniger
💋 Anzahl Spicy Szenen: 0
🔗 Spielart Spicy Szenen: -
🔥 Explizitheit Spicy Szenen: -
🎨 Originalität der Erzählweise: Teils teils
👀 Erzählperspektive: 3. Person