Die Lindhorsts um die Ecke bei den Buddenbrooks

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Eine Autorin, die schon so einiges an guten Büchern vorgelegt hat, kommt nun mit dieser imposanten Familiengeschichte um die Ecke. Inger-Maria Mahlke schreibt unverwechselbar gut. Wir tauchen ab nach Lübeck um die Jahrhundertwende. Und ja, da klingelt doch was! Da gibt es schon ein Epos, dem wir alle schon begegnet sind. Thomas Manns Buddenbrooks. Wie ein Roman aus einem anderen Blickwinkel erzählt Inger-Maria Mahlke über die gleiche Zeit in der gleichen Stadt, Lübeck, nimmt aber eine andere fiktive Familie ins Rampenlicht: die bürgerliche Familie Lindhorsts. Stets kaisertreu und bis ins Mark konservativ. Es ist ein Familienroman über Generationen hinweg mit all ihren Vorteilen im Patrizierhaus und auch all ihren Nachteilen für die weiblichen Mitglieder des Clans. Und genau hier liegt der Fokus des Romans: auf der weiblichen Seite. Seine es Dienstmädchen oder Marthe, die Tochter des Hauses, oder andere weibliche Figuren. Es geht auch um den Vater, Friedrich Lindhorst, der wie ein Tyrann die Familie führt, arbeitet als Anwalt; war außerdem Vorsitzender des Bürgerausschusses im Lübecker Stadtrat und kandidierte für einen Sitz im Berliner Reichstag. Die Mutter, Marie Lindhorst, ist psychisch krank. Heute würde man von einer bipolaren Störung und Depressionen sprechen. Sie ist das Rückgrat des Haushaltes und macht ihren Job bis zum Erbrechen. Was muss das muss. Für die Zukunft werden die sechs Söhne herangezogen, was sie selbst können oder wollen, ist den Eltern egal. Die Mädchen werden ohnehin nicht beachtet. Mir hat die Szenerie wie sie Inger-Maria Mahlke beschreibt, gefallen. Wie die damaligen Umstände waren und wie in bürgerlichen Schichten gelebt und auch gedacht wurde. Auch die Gemengelage zwischen Lübeck und Hamburg wird trefflich aufgegriffen. Mir scheint der Roman basiert auf fundierten Recherchen, wirken die einzelnen ausgeleuchteten Momente, die wir hier erleben sehr real und nachvollziehbar, auch wenn sie unserem heutigen gesellschaftlichen Verständnis von einem Miteinander widersprechen. Ein guter Roman, wobei es keine klassische erzählte Geschichte ist, eher eine Ausleuchtung von gesellschaftlichen Dynamiken und einer standesgemäßen Lübecker Familie um 1900 im Mittelpunkt.