Fein ziseliertes Gesellschaftspanorama

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bücherfreund99 Avatar

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Auferlegt hatte ich mir nach der Lektüre von Klappentext und Leseprobe, den sich vordergründig anbietenden Vergleich mit dem Lübecker Gesellschaftsroman schlechthin, Thomas Manns 'Buddenbrooks', von vorherein zu vermeiden, um Inger-Maria Mahlkes neuem Buch gerecht werden zu können. 'Unsereins' ist der Roman der Stadt Lübeck und ihrer Gesellschaft, der Konsuln und Senatoren, der Bürgerfamilien, aber auch der ‚kleinen Leute‘. Inger-Maria Mahlke zeichnet ein fein ziseliertes Panorama und vermittelt so lebendige Einblicke in die unterschiedlichen Welten der handelnden Figuren. Sie erzählt von Senatoren, Schriftstellern, Kaufleuten, Handwerkern, Lohndienern und Dienstmädchen, ihrer Suche nach Identitität und Selbstverwirklichung. Die Handlung beginnt gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zur Zeit Bismarcks und der Sozialistengesetze. In besonderer Erinnerung bleibt das Dienstmädchen Ida, das eine eigene Emanzipationsgeschichte erlebt, indem es über die Arbeiterbildungsvereine schließlich einen Stenographiekurs besucht und sich in der Wirtschaft um eine Anstellung bemüht. Lesenswert waren auch die dezenten Verbindungen zum Schriftsteller Thomas Mann, der in die Handlung verwoben wird.
Was also bleibt von Inger-Maria Mahlkes neuem Lübeck-Roman in Erinnerung? Um die Frage prägnant zu beantworten, müsste man im Nachgang die Vielzahl an handelnden Personen nochmals einordnen, erneut nachlesen und gewichten. Der Leser muss sich immer wieder neu orientieren und sich über die Zusammenhänge der Personen klar werden. Dadurch wird die Lektüre mitunter ein wenig mühsam. Die eindeutige Identifikation mit einer Hauptfigur fällt schwer, nicht zuletzt wegen eines fehlenden stringenten Handlungsfadens. Die oben gestellte Frage ließe sich bezüglich der Buddenbrooks eindeutig beantworten. Aber ich hatte mir ja das Vergleichen eigentlich untersagt. Wer also den direkten Vergleich ausblendet, wird an Inger-Maria Mahlkes schön erzähltem Roman ein großes Lesevergnügen finden.