Gesellschaftsquerschnitt um 1900

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Inger-Maria Mahlke erzählt die Geschichte der bürgerlichen Familie Lindhorst von 1890 bis 1906 und beschreibt die Lebensumstände und Wichtigkeit der sozialen Stellung in dieser Zeit. In vielen verschiedenen Erzählperspektiven kommen die Familienmitglieder, das Dienstmädchen Ida, der Ratsdiener Isenhagen und noch viele mehr zu Wort und beschreiben ihre Lebenssituation aus ihrer Sicht. Dabei kommt besonders den Frauen eine große Bedeutung zu, obwohl - oder gerade weil - sie um die Jahrhundertwende nicht viel zu sagen hatten. Die Mutter Maria Lindhorst würde man heute als manisch-depressiv bezeichnen, wozu sicher nicht zuletzt die 8 Kinder beigetragen haben, die ihren Körper und Geist belastet haben. Die zwei Töchter haben wenig Stellenwert, von ihnen wird vor allem erwartet, sich in ihre Rolle zu fügen. Eine völlig andere Schicht repräsentiert das Dienstmädchen Ida, ihre Beschreibungen des Alltags und der harten Arbeit im Haus Lindhorst zeigen das Leben aus der Sicht der Dienstbotin auf.
Doch auch die Männer hatten es nicht leicht: schon als Kinder lastete viel Druck auf ihnen, ihrer gesellschaftlichen Stellung gerecht zu werden. So habe ich zum Beispiel sehr mit dem Jungen Georg Presswitz gelitten, der von den Mitschülern malträtiert wird und sich aus dem Internat nach seiner Mutter sehnt.
Mit ihrem etwas altmodischen und bildreichem Schreibstil erinnert dieses Buch nicht nur inhaltlich etwas an Thomas Manns großes Familienepos Buddenbrooks. Anfangs braucht man etwas, um sich an die Sprache zu gewöhnen, bald jedoch hat man sich regelrecht hineingelesen in diese Geschichte. Dabei erleichtert das Personenregister zu Beginn es sehr, die vielen Charaktere auseinander zu halten, die dieses Buch zu einem Gesellschaftsquerschnitt um 1900 machen. Allerdings hätte ich mir über die knapp 500 Seiten einen roten Faden gewünscht, der die vielen handelnden Personen zu einem Plot vereint.
Ein zeithistorisches Lesevergnügen in einem ausdrucksstarken Schreibstil.