Lübecker Impressionen

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Inger-Maria Mahlke – Unsereins

Lübeck, der kleinste Staat im Deutschen Reich, ist der Schauplatz dieses Romans, und wer hier sofort an Thomas Manns Buddenbrooks denkt, liegt nicht falsch, schließlich kommt der Schüler Tomy Mann, genannt der Pfau, als Nebenfigur vor. Ohne zu viel zu verraten: Sonderlich sympathisch ist er nicht, aber dafür auch nicht weiter wichtig. Stattdessen stehen andere Figuren im Mittelpunkt, vor allem das Leben verschiedener Frauen aus unterschiedlichen Schichten wird hier beleuchtet. Es geht um Dienstmädchen, die ihre Träume nicht aufgeben wollen, Ehefrauen, denen die stetig wachsende Kinderschar über den Kopf wächst, und höhere Töchter, die sich nicht dem vorgezeichneten Lebensweg fügen mögen. Das Figurenensemble, das Inger-Maria Mahlke hier zum Leben erweckt, ist groß, ohne die Personenliste am Anfang des Buches wäre ich so manches mal verloren gewesen. Allein die vielen Kinder der Familie Lindhorst auseinanderzuhalten ist eine Herausforderung. Trotzdem bin ich den Geschichten der verschiedenen Figuren sehr gern gefolgt. Die Politik der Zeit schwingt immer mit, es geht um Beschlüsse auf lokaler Ebene (wie die geplante Einführung von Wasserklosetts für die ganze Stadt, was auf Protest vonseiten lokaler Gärtnereien führt, die den Inhalt der Nachttöpfe als Dünger verwenden), aber auch die Anfänge der Sozialdemokratie und der überall mitschwingende Antisemitismus werden deutlich. So entsteht ein Panorama der Zeit um 1900, in der die Männer herrschen und die Frauen nur wenig Spielraum haben, um eigene Wünsche und Ziele zu entwickeln. Mahlke hat detailliert recherchiert und spielt immer wieder mit Bezügen zu den Buddenbrooks, denn der Roman hat die Lübecker Gesellschaft nachhaltig beschäftigt. Es gab sogar Buchhandlungen, in denen man Entschlüsselungshilfen für die Romanfiguren kaufen konnte. Doch auch wer wie ich die Buddenbrooks nicht mehr ganz so deutlich im Kopf hat, hat mit diesem Roman Spaß, schließlich bietet er ein gelungenes Gesellschaftsporträt der Kaiserzeit und hat dabei einen Querschnitt der Bevölkerung im Blick. Ich habe ihn jedenfalls wirklich gern gelesen!