Portrait oder doch eher Wimmelbild?

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Das Cover und der Klappentext von «Unsereins» von Inger-Maria Mahlke haben mich neugierig gemacht, die Buddenbrooks-Atmosphäre der Geschichte hat ein besonderes Flair. Angefangen hat auch erstmal alles gut: Im Lübeck des 1890 lernen Leser:innen nicht nur einzelne Protagonisten, sondern gleich viele (grosse und kleine, gutsituierte und weniger wohlstehende) Figuren kennen, denen gleichermassen eine Bühne geboten wird. Im Zentrum der Handlung steht die Familie Lindhorst.

Was den Reiz von «Unsereins» für mich ausmacht ist die Raffiniertheit mit der Inger-Maria Mahlke die Perspektive wechselt. Die detailreiche und feinfühlige Zeichnung der Charaktere geben nicht nur Einblicke in das Leben einzelner Personen, sondern plaudern gleich aus dem Nähkästchen einer ganzen Gesellschaft. So ertappen Leser:innen das Dienstmädchen dabei, wie sie sich wünscht ganz eine andere Rolle zu spielen und verlieben sich gemeinsam mit dem Ratsdiener Isenhagen, der seine Avancen nur auf äusserst drollige Weise zu vermitteln weiss. Oder was hat das richtige Giessen einer Pflanze mit der ersten Verabredung zu tun?

Mahlke hat zweifelsohne einen Sinn fürs Detail, sie erstellt nicht nur liebevolle Figurenportraits, sondern lässt auch ihre sprachliche Finesse an mehreren Stellen durchblitzen. Jedes Wort hat seinen sorgfältig ausgewählten Platz, jeder Satz liess Bilder in meinem Kopf wach werden. Trotzdem komme ich nicht umhin zu sagen, dass die Lektüre für mich alles andere als einfach war.

Historisch und soziologisch interessierte Leser: innen kommen wohl bei diesem Buch auf ihre Kosten, jedoch ist ein nicht kleines Mass an Konzentration für die Lektüre notwendig. Sonst gestaltet sich das Leseerlebnis eher zäh und langwierig. Zu meinem grossen Glück findet man am Anfang ein Personenverzeichnis, das zumindest einen kleinen Überblick bietet.

Leider habe ich dennoch während der ersten 300 Seiten vergeblich den roten Faden gesucht, bevor ich mich dann nach und nach besser auf das Buch einlassen konnte. Da man jeweils nur sehr kurz bei den einzelnen Charakteren bleibt, sind sie mir nur stellenweise wirklich nah gekommen. Die schön gezeichneten Portraits hatten für mich nicht selten die Optik eines Wimmelbilds, das ich nur mühsam zu entziffern vermochte.