Eine „realitätsnahe“ Dystopie

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Der 12jährige Bird lebt mit seinem Vater in einem Wohnheim auf dem Campus von Harvard, wo sein Vater in der Bibliothek arbeitet. Birds Mutter hat die Familie vor Jahren verlassen, ohne dass Bird genau weiß, was damals passiert ist. Doch Fragen nach der Vergangenheit stellen ist für Bird keine wirkliche Option. Er hat gelernt, dass Fragen gefährlich werden können, denn er lebt in einer Gesellschaft, die kritische Nachfragen als Angriff wahrnimmt. Nach Jahren der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Instabilität, will man mit dem PACT-Gesetz die amerikanische Kultur bewahren und hat als Hauptfeind China ausgemacht. Dementsprechend werden Persons of Asian Origin (PAO), genauso wie tiefgründige/kritische Bücher, als Gefahr angesehen, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss.
Als Bird jedoch einen geheimnisvollen Brief von seiner Mutter erhält, beginnt er zu recherchieren. Seine Recherche führt ihn nicht nur näher zu seiner Mutter, sondern nährt auch seine Zweifel an dem System, in dem er lebt.

Celeste Ng hat mit „Unsre verschwundenen Herzen“ einen dystopischen Roman vorgelegt, der sehr nah an unserer Lebensrealität und damit umso erschreckender ist. Sie hat Ansätze, die man in der amerikanischen Gesellschaft (aber auch anderen) sehen kann, weitergesponnen und mit altbekannten Maßnahmen autoritärer Systeme kombiniert. So werden die Bibliotheken geplündert, unliebsame Lektüre möglichst verbannt oder aber Kinder aus Familien genommen, die systemkritisch erscheinen. Somit sind nicht nur Personen mit asiatischem Background als Feindbilder markiert, sondern auch jeder, der ein unangepasstes Verhalten an den Tag legt.
Mich hat bei den Schilderungen besonders berührt, dass es einfach sehr nah an unserem Alltag ist. Man hat keine großen technischen Neuerungen oder ähnliches, sondern es fühlt sich an, als hätte man lediglich einiges Vorzeichen verändert.

Das Buch ist in drei Teile geteilt, bei denen die Perspektiven wechseln. Wir starten bei Bird und aus meiner Sicht ist dieser Teil der stärkste, denn man fühlt mit diesem nachdenklichen Jungen mit und bekommt aus seiner Sicht einen Blick auf diese Gesellschaft. Der zweite Teil lässt uns die Perspektive von Birds Mutter einnehmen, einem Part, mit dem ich mich durchaus schwerer getan habe, da sie mir mit ihrem künstlerischen Wesen durchaus eher fern ist. Der Dritte Teil ist der kürzeste und aus meiner Sicht wieder eingängiger.

Leider konnte sich meine Begeisterung vom ersten Teil nicht durch die ganze Lektüre ziehen, dennoch habe ich das Buch mit viel Erschrecken und Begeisterung gelesen. Wer gerne „realitätsnahe“ Dystopien mag, der wird von Celeste Ngs „Unsre verschwundenen Herzen“ nicht enttäuscht. Ein Buch, das nachdenklich macht!