Fesselnd und bedrückend

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nessie6 Avatar

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Celeste Ng ist mit ihrem neuen Roman zum dritten Mal ein Buch gelungen, das mich von Anfang an gefesselt hat und das ich nur schwer aus der Hand legen konnte. Sie erzählt darin die Geschichte des 12-Jährigen Bird, der mit seinem Vater im Nordwesten der USA lebt, während dort der fiktive PACT-Act gilt.
Diese Gesetze waren der Versuch, durch die Bewahrung der „amerikanischen Kultur und Tradition“ die 15 Jahre andauernde Krise in den USA zu beenden, die vor allem auf Einflüsse aus (Ost-)Asien zurückgeführt wurde und für Aufruhr, Arbeitslosigkeit, Not und wirtschaftliche Unsicherheit gesorgt hatte – ein Thema von bedrückender Aktualität.
Mit dem PACT wurde es den Behörden ermöglicht, Menschen zu inhaftieren und Kinder aus ihren Familien zu holen, sofern diese sich „verdächtig“ verhalten – hierfür reichen kleinste Anlässe wie asiatisches Aussehen oder Äußerungen, die als Kritik an PACT verstanden werden können.
Ng zeichnet damit das dystopische Bild einer Gesellschaft, die sich in ständiger Angst vor staatlichen Repressionen, permanenter Überwachung und dem Zerreißen der eigenen Familie befindet. Bird, der eigentlich Noah heißt, macht sich zu Beginn des Romans auf die Suche nach seiner Mutter, der chinesischstämmigen Dichtern Margaret Miu.
Diese hatte die Familie – für Noah ohne ersichtliche Erklärung – verlassen, wobei schnell klar wird, dass dies mit dem PACT und ihren Gedichten zu tun hat. Im Verlauf des Romans klärt sich zwar ihr Verschwinden, doch viele Fragen zu den Hintergründen bleiben offen. Während zuerst der Verlust von Bird im Fokus steht, nehmen im Verlauf des Romans die Verlusterfahrungen vieler weitere Familien immer mehr Raum ein.
Auch wenn der PACT fiktiv ist, gelingt es Ng mit ihrem eindrücklichen Schreibstil, ihn und seine Entstehungsgeschichte sehr realistisch zu zeichnen. Einige der geschilderten Maßnahmen wurden oder werden in den USA oder anderen Teilen der Welt unter verschiedensten Vorwänden umgesetzt, so dass die Lektüre des Romans ein bedrückendes Gefühl in mir ausgelöst hat. Das wurde durch den starken Fokus auf die Mutter-Sohn-Beziehung weiter verstärkt, denn als Eltern liest an den Roman wahrscheinlich mit anderen Augen.
Ein abschließendes Wort zur Covergestaltung: Auch wenn der Blick hinter Vorhängen hervor immer wieder im Roman aufgegriffen werden, überzeugt mich das Cover der amerikanischen Ausgabe mit der Feder, die sich in einzelne Vögel auflöst, deutlich mehr. Die deutsche Ausgabe erscheint mir dagegen etwas nichtssagend und wir dem vielschichtigen Roman nicht gerecht.