Leider sehr enttäuscht

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fraedherike Avatar

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Seit seine Mutter vor drei Jahren plötzlich verschwand, hat das Leben des zwölfjährigen Birds an Farbe verloren: Immer wieder denkt er daran, wie sie ihm Geschichten und Fabeln von magischen Tieren und tapferen Helden erzählte, seine Welt verzauberte. Warum nur hat sie ihn verlassen, ist einfach gegangen, ohne ihm eine Nachricht zu hinterlassen? Nichts lässt darauf schließen, dass sie einmal bei ihnen gewohnt hätte, all ihre Bücher, ihre Kleidung sind weg, nur die Erinnerung an sie ist ihm geblieben. Nachdem sein Vater seinen alten Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter verlor, mussten die beiden ihr Haus verlassen und in eine kleine Wohnung nahe der Universität Harvard ziehen, an der sein Vater nun im Archiv arbeitet. Sie leben zurückgezogen, denn seit der Krise, die das Land und seine Wirtschaft vor einem Jahrzehnt in die Knie zwang, und dem daraufhin verabschiedeten PACT-Abkommen leben sie in ständiger Angst. PACT, das bedeutet: Preserving American Culture and Traditions Act; sein Ziel: Schutz amerikanischer Ideale und Werte vor der Unterwanderung durch ausländische Einflüsse. Das heißt auch, dass Kinder von PAOs, People of Asian Origin, ihren Familien entrissen und zur Adoption freigegeben werden, um zu verhindern, dass sie dem subversiven, unpatriotischem Verhalten ihrer Eltern erliegen.

Als Bird eines Tages einen Brief voller Skizzen kleiner Katzen erhält, ist er sich sicher: Das ist ein Hinweis seiner Mutter, sie will, dass er sie sucht! Er begibt sich auf Spurensuche, geht in die Bibliothek, um nach der Geschichte mit den Katzen und dem Jungen zu suchen, die sie ihm immer erzählte - und nach ihrem Gedichtband "Our Missing Hearts". Dem Leitspruch der Demonstranten, die tagtäglich gegen PACT demonstrieren, Herzen auf die Straße, an die Bäume malen. Er ist sich sicher, dass seine Mutter in Verbindung mit all diesen Aktionen steht, dass sie ganz nahe ist - und mit ihrer Rückkehr ein besseres, sicheres Leben möglich wäre.

Ich wollte es so sehr lieben. Von ihren Worten ein ums andere Mal verzaubern lassen, wie sie es mit "Kleine Feuer überall" schon einmal schaffte. Mitfiebern, leiden, wie betäubt die letzte Seite umblättern. Doch mit ihrem neuen dystopisch anmutenden Roman "Unsere verschwundenen Herzen" (OT: Our Missing Hearts, übertragen von Brigitte Jakobeit) konnte Celeste Ng mich leider nicht abholen. Von Beginn an erzeugt sie eine bedrückende, düster wabernde Atmosphäre des Verlusts und der Angst, zeichnet das trostlose, monochrome Bild eines von der Krise gebeutelten Landes, das nur durch Demonstrationen gegen das PACT-Abkommen Farbe erhält, wieder und wieder rote Wunden, auf die Straße gemalte Herzen. Sie sollen aufmerksam machen auf all die Kinder, die ihren Familien, ihren Eltern asiatischer Herkunft, entrissen wurden. Die Welt, die sie beschreibt, wirkt so real, so echt, wie eine böse Vorahnung, ist die wirtschaftliche Situation gar nicht mal so abwegig - und, wie man es jeden Tag in den Nachrichten sieht, auch die Zunahme rassistischer Gewaltakte allgegenwärtig. Allerdings vermisste ich im Hinblick auf PACT und die Denunziation asiatisch-stämmiger Menschen eine reflektorische Komponente. Die Darstellung der politischen Situation und ihrer Hintergründe wirkte eher inkonsistent und willkürlich, eindimensional.

Und mittendrin: Bird. Aufgeweckt, neugierig, aber unglaublich traurig, vermisst er seine Mutter jeden Tag aufs Neue, will einfach nur verstehen, wieso sie ihn einfach verlassen, mit seinem Vater allein gelassen hat. Seine Suche zu verfolgen, war einerseits zermürbend, doch andererseits... Ich weiß es nicht, irgendetwas fehlte. Fehlte zwischen ihm und mir, denn ich tat mich schwer, eine Verbindung zu ihm aufzubauen, fehlte aber auch der Geschichte im Allgemeinen. Ab dem zweiten Teil verlor sie mich. Ich war zunehmend genervt von den Längen, den Charakteren, fand nur noch wenige Passagen, bei denen ich aufmerkte, dachte: Jetzt! Ach, das könnte doch noch was werden - aber nein. Es wirkte alles einfach nicht rund, zu konstruiert, zu distanziert. Falscher Zeitpunkt? Möglich. Aber, so sehr ich es mir wünschte, vermutlich würde es auch später nicht zum Funkenübersprung kommen. Schade!