Realitätsnahe Dystopie

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alice pleasance Avatar

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Der neueste Roman von Celeste Ng ist auf jeden Fall anders als ihre vorherigen, doch es gibt auch einige Gemeinsamkeiten. In allen ihren Büchern stehen amerikanisch-asiatische Familien im Vordergrund, doch während es in den ersten beiden um zeitgenössische Themen und das Familienleben geht, entwirft sie in ihrem neuesten Roman ein dystopisches Setting mit gesellschaftskritischem Bezug. Unsre verschwundenen Herzen ist ernster und bedrückender als die vorangegangenen Romane, auch wenn es bei diesen ebenfalls um ernste Themen ging. Die Leichtigkeit, die in diesen hin und wieder durchschien, fehlt in Celeste Ngs neuester Erzählung. Das sind meiner Ansicht nach die größten Unterschiede zu ihren bisherigen Büchern.

Zunächst lernen wir den Protagonisten Bird, seinen Vater und ihren gemeinsamen Alltag kennen. Über die verschwundene Mutter erfährt man zu Beginn wenig. Die Autorin baut in diesem ersten Teil eine bedrückende und leicht bedrohliche Atmosphäre auf, ohne dass man als Leser*in so genau weiß, was es damit auf sich hat. Es ist lediglich klar, dass asiatisch aussehende Personen diskriminiert werden. Der zwölfjährige Bird ist einer von ihnen, auch wenn ihm erst nach und nach klar wird, was seine Herkunft und sein Aussehen für sein Leben bedeuten werden.

Wie es zu dieser Situation im fiktiven Amerika der Gegenwart bzw. einer nahen Zukunft kam, wird im Verlauf der Handlung zumindest noch teilweise erklärt. Hierbei wird schnell klar, dass sich die Autorin sowohl von aktuellen Geschehnissen als auch von vergangenen Ereignissen hat inspirieren lassen. Dieser Bezug lässt das Szenario sehr real wirken. Krisen wie etwa die Weltwirtschaftskrise oder ganz aktuell Pandemie und Inflation werden schnell zum Auslöser für diskriminierendes Verhalten. Antiasiatischer Rassismus hat schließlich zu Beginn der Pandemie wirklich zugenommen. So fällt es in Unsre verschwundenen Herzen nicht schwer, sich in die gesellschaftliche Lage hineinzuversetzen.

Bis die Geschichte an Fahrt aufnimmt, dauert es eine Weile. Für meinen Geschmack hat sich der Beginn etwas zu sehr gezogen. Auch konnte mich der Roman nicht so fesseln wie die beiden Vorgänger. Warum genau das so war, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich glaube, es liegt an der Distanz, die ich das gesamte Buch über zu den Figuren hatte. Während ich mich bei Celeste Ngs vorherigen Büchern in die Figuren hineinversetzen konnte, blieben sie mir diesmal ein wenig zu blass und austauschbar.

Der neueste Roman von Celeste Ng erzählt die Geschichte eines amerikanisch-asiatischen Jungen, der sich in einem fiktiven Amerika auf die Suche nach seiner Mutter macht und dabei Diskriminierung aufgrund seiner Herkunft erfährt. Das Setting fühlt sich sehr real an, da es Bezug zu reale Ereignissen nimmt. Die Atmosphäre ist bedrückend, aber es besteht dennoch jederzeit Hoffnung.