Regt zum Nachdenken an!

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katykate Avatar

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Wäre dieses Buch nicht von Celeste Ng hätte mich der Klappentext nicht besonders angesprochen. Aber das ist auch bei ihren anderen Romanen der Fall. Die habe ich nur durch Zufall entdeckt und lieben gelernt. Deshalb habe ich diesmal auch gar nicht so sehr auf den Klappentext geachtet und ich fand ihn ja auch nicht gänzlich uninteressant.


ALLER ANFANG IST …
… verwirrend. Ehrlich, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie verwirrt ich anfangs war. Weil ich nicht verstanden habe, in welcher Realität dieses Buch spielt. In unserer? In einer, die an unsere angelehnt ist? In einer vollkommen veränderten? In der Vergangenheit? In der Zukunft? In der Gegenwart?

Ich war wahnsinnig verwirrt. Denn es geht in diesem Buch um PACT, ein in Amerika erlassenes Gesetz, das das amerikanische Gedankengut schützen soll und quasi für Patriotismus pur steht - auf eine ungesunde, gefährliche Weise. Und ganz besonders gefährlich für Amerika ist China und in Amerika lebende Chinesen.

Im Vorwort erwähnt die Autorin, dass ihr die Inspiration zu diesem Buch (wenn man das so nennen kann) aufgrund der aktuellen Situation in Amerika gekommen ist. Durch das Corona-Virus und vor allem auch Trumps Umgang damit und alternativen Namen dafür ist die Feindlichkeit gegenüber Chinesen und/oder asiatisch aussehenden Menschen enorm angestiegen. Und genau darum geht es in diesem Buch.

Aber wie gesagt, ich habe anfangs nicht verstanden, in welcher Realität wir uns finden. Ich konnte das Gelesene nicht so richtig in Fiktion und Non-Fiction einordnen.


DIE AUFLÖSUNG
Am Anfang begegnen wir Bird. Seine Mutter ist chinesischer Abstammung, sein Vater ist Amerikaner. Auch Bird erlebt diese Feindlichkeit, aber beim Lesen wirkte es auf mich so, als würde er sie nicht so richtig wahrnehmen. Als würde es hauptsächlich anderen passieren, weil sein Vater ihn immer beschützt und davor abschirmt. Ihm eintrichtert, wegzusehen und sich immer an die Regeln zu halten, nicht aufzufallen.

Das, was Bird vorrangig zu belasten scheint, ist, dass seine Mutter vor Jahren einfach verschwunden ist. Als Kind konnte er es sich nicht erklären und auch jetzt ist er noch ein Kind ohne Mutter. Bis er eine Zeichnung per Brief von ihr bekommt und sich aufmacht, um das Rätsel zu lösen und sie zu finden.

Und hier erfahren wir auch endlich, wie es zu PACT gekommen ist. Aufgrund einer schweren Wirtschaftskrise, die Amerika beinahe zerstört hätte und wahnsinnig viele Erkrankungen, Plünderungen, gewaltvolle Demonstatrionen zur Folge hatte, suchte man einen Feind. Ein Grund, weshalb es Amerika so schlecht erging. Und den fand man in China.

PACT wurde erlassen, um die Bürger der USA dazu zu bringen, ihr Land an erster Stelle zu sehen. Sich stets patriotisch zu verhalten. Es ist die Grundlage dafür, Asiaten auszugrenzen und ihnen teilweise Gewalt anzutun (passiert auch in diesem Buch. Deshalb Triggerwarnung für Gewalt - auch an Frauen), Literatur, die nicht die amerikanische Kultur repräsentiert, verschwinden zu lassen, und so vieles mehr. Und wer auch immer sich gegen PACT ausspricht, muss mit den Folgen leben: Denn PACT bietet zudem die gesetzliche Möglichkeit USA-»feindlichen« Familien ihre Kinder zu entreißen, damit diese nicht weiter mit den »falschen« Werten aufwachsen.


DAS NACHWORT DER AUTORIN
Mit dem Nachwort der Autorin wird eines klar: Zwar ist die Realität in »Unsere verschwundenen Herzen« erfunden, doch hat sie ganz klar einen wahren Kern. Denn Asiatenfeindlichkeit war schon immer ein Problem, ist es seit dem Corona-Virus noch mehr. Aber auch das Entzweireißen von Familien ist nichts neues. Das kommt schon lange vor, Ng hat es nur mit dem Namen PACT versehen.


FAZIT
»Unsere verschwundenen Herzen« hatte definitiv etwas augenöffnendes an sich. Dass Rassismus gegen Asiat*innen in Amerika ein Thema ist, war mir klar. Aber hier in diesem Buch wird das nochmal auf eine andere Art verdeutlicht. Dennoch hab ich von dem Buch mehr erwartet. Das, was ich an Celeste Ngs Romanen so liebe, kam hier nämlich zu kurz: die geniale Darstellung komplizierter, verzwickter Beziehungen zwischen unterschiedlichen Menschen. Daher ist »Unsere verschwundenen Herzen« nicht mein liebster Roman der Autorin. Zeigt aber durchaus auf, weshalb Gegenwartsliteratur so wichtig ist.