Melancholische Geschichte einer lange unaufgeklärten Gewalttat

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Als Isak Nyquist 7 Jahre alt ist, brennt in seinem Heimatort der Hof der Markstöms ab. In den Brandresten wird die Leiche der Tochter Lovisa gefunden, die jedoch schon vor dem Feuer tot gewesen sein muss. Isaks Eltern versuchen die Geschehnisse mit einigem Aufwand von ihm fernzuhalten, doch ihre Tonlage verrät dem Jungen, dass etwas Schlimmes geschehen sein muss. Lovisa war mit Isaks Onkel Edvard zusammen; der schnell der Tat verdächtigt wird. Edvard stammt aus einer Familie, in der häusliche Gewalt an der Tagesordnung war und - obwohl nicht zu übersehen - im Ort ignoriert wurde. Schon Edvards Vater wurde als „aufbrausend“ beschrieben und Edvard selbst schien gewalttätige Auseinandersetzungen seit seiner Jugend anzuziehen. Isak hat große Angst davor, dass diese Gewalttätigkeit sein Familienerbe sein könnte.

Edvard ist Isaks Hauptbezugsperson, beide verbindet eine innige Beziehung. Dass viele junge Männer in Lovisa verliebt waren und um ihre Person sich Groll und Hass konzentrierten, wird von den Einwohnern verdrängt. Wenn sogar die Presse ungestraft reine Mutmaßungen verbreiten darf … Obwohl Edvard seine Unschuld beteuert, wird er zu einer Gefängnisstrafe unbestimmter Dauer verurteilt. Als er unter ungeklärten Umständen stirbt, scheinen einige Beteiligte aufzuatmen; nur zu gern hätten sie seinen Tod als Freitod und damit als Schuldeingeständnis gesehen. Doch der ganze Ort ist nach wie vor den Ereignissen tief gezeichnet; denn was genau mit Lovisa geschah, bleibt ungeklärt.

Ermittler ist 1994 u. a. der Polizei-Assistent Vidar, der selbst in Marbäck lebt. Auf drei Zeitebenen erleben wir als Leser zunächst den jungen Vidar als Ermittler, 10 Jahre später hat ihm der Fall noch immer keine Ruhe gelassen und ein weiteres Jahrzehnt später fahndet Vidal noch einmal ruhelos danach, ob bei der ersten Ermittlung etwas übersehen wurde.

Christoffer Carlssons hochgelobter Roman kommt erst allmählich in Gang und hat mich anfangs auf eine falsche Fährte geführt. Die Geschichte schien eine weite Strecke eher eine sozialkritische psychologische Studie ohne Spannungskurve zu sein. Über 25 Jahre hindurch war zu verfolgen, wie eine Gesellschaft in geradezu kindlicher Naivität ihre Gewalttäter selbst heranzieht, indem sie Gewalt verharmlost und die Augen vor dem Offensichtlichen verschließt. Hochinteressant fand ich dabei Vidars Entwicklung vom Berufsanfänger zum erfahrenen Ermittler, der einen Fall aufklären und nicht nur einen Verdächtigen bestraft sehen will.

Als der Fall endlich doch noch geklärt werden kann, stellte sich mir die Frage, was einen guten Polizisten ausmacht und wie moderne Gesellschaften ein Pflichtbewusstsein wie Vidars eigentlich honorieren … Damit hat der Autor, der selbst aus der beschriebenen Gegend stammt und als Professor für Kriminologie arbeitet, sein Ziel geschickt erreicht.