Historisch glaubwürdig

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mel.e Avatar

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"Unter den Linden 6" beleuchtet das Leben dreier sehr unterschiedlichen Frauen, die die Gemeinsamkeit aufweisen sehr wissbegierig zu sein und aufgrund ihres Geschlechts viele Kämpfe auf sich nehmen müssen, um diesem Wissensdurst Folge leisten zu können. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Protagonistinnen ist der Roman sehr lebendig und macht mich stellenweise auch sehr wütend, obwohl das Verhalten der Männer der damaligen Zeit angepasst ist. Eine Frau hat zu heiraten und muss nicht arbeiten, es sei denn sie kommt aus ärmlichen Verhältnissen und muss ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Anni unterstützt mit ihrem Gehalt als Dienstmädchen ihre Familie, was erschreckender weise noch hinzukommt. Mir hat sehr gefallen, das es innerhalb der Story zu vielen positiven Wendungen kommt, auch wenn nicht alles zufrieden stellt. Im Nachwort wird noch einmal deutlich, wie schwer es Lise hat Anerkennung ihrer Arbeit zu erhalten und auch nicht namentlich erwähnt zu werden, wobei ihre Leistung gerade in Bezug der Radioaktivität herausragend ist. Hier werden lieber Männer genannt, auch wenn diese einfach nur während der Forschung dabei gestanden haben. Es war eindeutig eine ungerechte Zeit die hier beschrieben ist und gerade in Bezug auf die Frau oftmals eine bodenlose Frechheit,
Historisch gesehen sind die Ereignisse glaubwürdig dargestellt, wobei es die Freiheit der Autorin ist, hier und da auch fiktive Begebenheiten einzufügen. Eine einzelne Frau zu beleuchten und ihre Erwartung vom Leben zu umschreiben, wäre sicherlich langweilig gewesen. So erschuf die Autorin drei Protagonistinnen, die sich zu behaupten wissen. In der Person der Anni zeigt sich relativ rasch, das das Leben als Dienstmädchen schwer ist und Bildung eher weniger Stellenwert hat, dennoch ist ihre Intelligenz ein großer Vorteil, sodass Anni doch ihr Ziel erreichen kann. Leider verliebt Anni sich in den Falschen und muss Schweres erleiden, wobei auch hier deutlich wird, wie hart die Zeiten damals waren und der Wunsch einer Frau sich versorgt zu wissen, groß. Hedwig, die sich durch die Fälschung einer Unterschrift in die Universität in Berlin einschreibt, um Vorlesungen zu besuchen, ist unglücklich verheiratet und ihr Mann sicherlich nicht begeistert durch ihre Lügen. Auch hier zeigt sich, wie abhängig Frauen vom Wohlwollen ihrer Ehemänner sind, wobei hier dann später der Schwiegervater und auch Hedwigs Vater ein Machtwort sprechen. Eine Frau ist eindeutig nicht dazu berufen, eigenständig Entscheidungen zu treffen, was ich erschrecken fand. Letztendlich trifft Hedwig in meinen Augen die richtige Entscheidung, auch wenn sie sich vielleicht erneut abhängig macht. Lise, die in Wien ihr Abitur (Matura) bestanden hat, kommt mit einer großen Vision nach Berlin und muss schnell feststellen, das ihr regelrecht Felsbrocken in den Weg gelegt werden. Hier verwirkt sich definitiv das Recht auf Bildung, was ich natürlich wusste und dennoch schockieren die Tatsachen, das Universitäten Männern vorbehalten sind. Die Unterschiedlichkeit der Frauen ist herausragend und wenn man nun das Cover genauer betrachtet, sind auch dort drei Frauen zu erkennen, die ich spontan nach Beenden des Romans als Lise, Anni und Hedwig deuten kann.
Wirklich interessant sind auch bekannte Persönlichkeiten wie Max Planck und Otto Hahn, die ebenfalls einen Platz im Roman finden werden. Die Schädlichkeit der Röntgenstrahlen sind deutlich hervorgehoben und auch wenn Menschen sich zu Forschungszwecken diversen Schäden aussetzen kann ich mich dankbar schätzen, das ich dieses nun für meine Gesundheit nutzen kann.
"Unter den Linden 6" ist ein sehr lebhaftes Buch, welches mich sehr ansprechen konnte. Die gewählte Zeit ist 1885 und später, was darauf schließt, das sich viele Dinge in Bezug auf die Frau erst entwickelt und mich dennoch in meinem großen Gerechtigkeitssinn mitunter wirklich traurig macht, wobei ich auch dankbar dafür bin, mich diesen Gesetzen nicht mehr beugen zu müssen. Die Erklärungen am Ende des Romans sind herausragend und werten weiterhin auf.
Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für "Unter den Linden 6" mit dem Hinweis, das es sich hier um historische Ereignisse handelt, die aus wahren Begebenheiten und jeder Menge Fiktion überzeugend gestrickt wurde. Die Wissenschaft wirkt nicht überladend oder so detailliert dargestellt, das es langweilig wirken könnte, Nein, im Fokus stehen die Frauen Hedwig, Lise und Anni, deren Aufeinandertreffen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung der damaligen Zeit sicherlich nur in Büchern möglich ist. Es ist definitiv eine interessante Lektüre, mit der ich mich gerne beschäftigt habe.