Liebe, Historik, FRAUENPOWER!

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Unter den Linden 6 ist die heutige Adresse der Humboldt Universität in Berlin. Der Roman spielt von 1907 bis 1915, im streng patriarchalischen Kaiserreich Kaiser Wilhelms des Großen. Anfang des 20. Jahrhunderts durften Frauen noch nicht selbstverständlich Abitur machen, geschweige denn die Universität besuchen und wenn, dann nur mit Sondergenehmigung als Gasthörerinnen. Um dieses Thema geht es in der Geschichte von drei jungen, sympathischen Frauen aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen: der gutbürgerlichen, verheirateten Hedwig, die sich für Frauenrechte einsetzt, dem Landmädchen im Dienstverhältnis Anni, das aus ihrer Anstellung geworfen wurde, weil ihr Dienstherr ihr nachstellte und der hochgebildeten, promovierten Wiener Physikerin Lise Meitner, die ihre Studien unter Max Planck fortsetzen und letztendlich einen Lehrstuhl haben möchte. Sie ist die einzige der drei, die geschichtlich belegt ist.

In einer erfundenen Geschichte treffen sie sich zufällig am Bahnhof und befreunden sich spontan. Über die Jahre kämpft jede auf ihre Weise um die Möglichkeit der Bildung, Selbständigkeit und Anerkennung geistiger Leistungen. Sie arbeiten hart, werden oft gedehmütigt und finden immer wieder Kraft und Unterstützung beieinander. In der Geschichte entsteht ein buntes Bild rund um die Universität. Was wir heute selbstverständlich ansehen, war für diese Frauen fast unmöglich. Annis Eltern können die Schule nicht bezahlen, sie arbeitet im Haushalt des ehemaligen Universitätsdirektors Althoff. Seine Frau bestimmt nicht nur, wann und was sie zu arbeiten hat, sondern auch, was sie in ihrer Freizeit darf und nicht darf. Mit der Zeit wird das Verhältnis besser und Anni hat das Glück, ihre Schule fortsetzen zu dürfen. Hedwig und Lise wird die Immatrikulation verweigert, die Professoren wollen ihnen zunächst nicht erlauben, an den Vorlesungen teilzunehmen. Sie müssen hartnäckig und kreativ sein, um endlich doch ihren Platz zu finden. Hedwig fälscht die erforderliche Erlaubnis ihres Ehemannes, der für längere Zeit zur Kur fährt und schließlich dort stirbt. Lise ist wissenschaftlich genial, doch reicht das nicht. Jahrelang steht sie im Schatten Otto Hahns, der wie selbstverständlich Karriere macht, während sie ein Zimmer zur Untermiete hat und vom Geld ihrer Eltern lebt, ohne deren Unterstützung sie nie so weit gekommen wäre. Ihnen gegenüber stehen die Männer: Professoren vom alten Schlag, die Frauen die Fähigkeit selbständig zu denken absprechen, Komilitonen, die zum großen Teil in Burschenschaften organisiert sind, und sie wie fehlgeleitete Ehefrauen, denen die Ehemänner beibringen sollten, wo ihr Platz ist, behandeln. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Die Frauen müssen mehr leisten, um sich ihre Plätze zu erkämpfen, arbeiten zu schwereren Bedingungen als die Männer, es gibt noch nicht einmal Toiletten für sie, und das Ganze ohne Bezahlung. Man lernt so nebenbei deutsche Bildungsgeschichte, doch die Geschichte wäre ziemlich trocken, wenn es nicht noch die Liebesgeschichten gäbe, die die Frauen immer wieder vor die Frage stellen, Liebe oder Karriere. Die Situation entschärft sich ein wenig 1913 mit dem Gesetz, das Frauen erlaubt, Abitur zu machen und sich zu immatrikulieren. Als 1914 der Krieg ausbricht,, werden die Strukturen plötzlich massiv aufgebrochen. Die Männer ziehen in den Krieg. Die Frauen aller Gesellschaftsgruppen müssen neben ihren alten Pflichten auch die Stellen der Männer ausfüllen, um den Betrieb in der Stadt aufrecht zu erhalten.

Viele Themen werden nur oberflächlich angekratzt, das ist ein bisschen schade. Es wird interessant durch den Einbau historischer Persönlichkeiten und setzt dadurch der Berliner Universität am Anfang des 20. Jahrhunderts ein kleines, unterhaltsames Denkmal.