Lebensklug und spannend

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
leukam Avatar

Von

Juliet sagte zuerst „ Nein“. Zu abwegig erschien ihr der Vorschlag ihres Mannes Michael. Er wolle eine Yacht kaufen und ein Jahr lang auf dem Meer verbringen, mit ihr und den beiden Kindern, der 7jährigen Sybil und dem 2 1/2 jährigen George. Und das, obwohl sie beide kaum Erfahrung mit dem Segeln hatten.
Trotzdem willigt Juliet ein. Vielleicht würde diese Reise ihre Ehe retten? Zu sehr hatte sich das Ehepaar voneinander entfernt. Aus der witzigen Literaturstudentin Juliet wurde eine Ehefrau und Mutter mit Depressionen. Die schon begonnene Dissertation hatte sie nach der Geburt ihres ersten Kindes beiseite gelegt und nun fand sie keinen Zugang mehr dazu. Sie wollte eine gute Mutter sein, fürchtete aber, dem eigenen Anspruch nicht zu genügen. Trotz der Liebe zu ihren Kindern wurde das häusliche Leben für Juliet zu „Treibsand“.
Auch in ihren weltanschaulichen Ansichten findet sich das Paar mittlerweile „ auf unterschiedlichen Seiten eines gewaltigen Grabens“. Michael fühlt sich eingeengt von staatlichen Vorschriften und unter dem Druck der „ Political Correctness“. Er wird zum Trump- Wähler, was Juliet als linke Intellektuelle nicht verstehen kann und will.
Hier nun, in der Enge des Bootes, allein auf dem Meer, wird sich zeigen, ob ihre Liebe noch zu retten ist.
Trotz mancher Schwierigkeiten wird die Reise für alle zu einem großartigen Erlebnis. Auch die Kinder, vor allem das ältere Mädchen, genießen das Abenteuer. „ Hier draußen ist das Meer die Schule der Kinder.“
Doch eines Tages kommt ein gewaltiger Sturm auf, der das Boot und seine Besatzung an ihre Grenzen bringt.
Amity Gaige erzählt ihre Geschichte wechselweise aus zwei Perspektiven. Die eine Stimme gehört der Ehefrau, die sich im Rückblick die Ereignisse vergegenwärtigt. Dazwischen lesen wir das Logbuch, das Michael während der Reise geführt hat. Er beschränkt sich dabei aber nicht auf die wesentlichen Fakten, sondern reflektiert sein Leben und seine Beziehung zu Juliet. So erhält der Leser eine differierte Sicht auf das Auf und Ab dieses Paares.
Man erfährt relativ bald, ohne dass die Spannung darunter leidet, dass dieses Abenteuer in eine Katastrophe mündet.
Der Roman hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Die Autorin versteht es meisterhaft, die Schönheit der Natur zu beschreiben, die unterschiedlichen Farben des Meeres, den abendlichen Sternenhimmel, die faszinierende Vegetation der angesteuerten Inseln. Dazu kommen Begegnungen mit Einheimischen und anderen Seglern.
Doch das Packende am Roman war die Reise ins Innere der Figuren. Es sind glaubhafte, psychologisch stimmige Charaktere, deren Schicksal den Leser berührt.
Es gab viele Sätze, ganze Passagen, die ich mir angestrichen habe. Z. B. : „ Jeder ist schwer zu lieben, über einen langen Zeitraum hinweg.“
„ Unter uns das Meer“- ein doppeldeutiger Titel- ist ein Abenteuerroman, ein Eheroman, ein Roman über das Mutter- sein, über Prägung und vieles mehr, geschrieben in einer wunderbaren Sprache.
Ein Roman, der sich für Leserunden eignen würde, weil er viel Gesprächsstoff liefert.