Seichtes Dahindümpeln an der Oberfläche des Lebens

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"Ich habe mein ganzes Leben lang mit einem Festlandkopf gelebt. Habe Festlandgedanken gedacht. Aber jetzt will ich Meeresgedanken haben."

Juliet und Michael stecken in einer schwierigen Ehe fest, kommen aber genauso wenig voneinander los, wie sie miteinander können. Als Juliet Michaels wahnwitzigem Plan zustimmt, mit den beiden Kindern für ein ganzes Jahr durch die Karibik zu segeln, stellt das ihr Leben auf den Kopf. Am Ende wird nichts mehr sein, wie es einmal war.

Amity Gaige greift in ihrem neuesten Roman nicht tief in die Trickkiste: Sie erzählt abwechselnd aus Juliets und Michaels Perspektive von der Schiffsfahrt und lässt Juliet außerdem vom "Danach" berichten. Diese altbewährte Methode zur Spannungserzeugung verdeckt geschickt die hanebüchene, müde dahinplätschernde und am Ende völlig versandende Geschichte einer Ehe, einer Reise und eines 'Dramas'. Die Zeiten und Perspektiven sind völlig willkürlich zusammengewürfelt, nichts hat irgendeine Chronologie, alles wird einfach irgendwann erzählt, was die Erzählstruktur völlig sinnentleert wirken lässt.

Michaels und Juliets Ehe ist nicht mehr sehr schön, sie wissen nicht, ob sie sich noch lieben, sie haben mit den typischen Problemen zu kämpfen: Michael ist immer erst spät zuhause, Juliet bleibt mit den beiden Kindern allein zurück und hat immer wieder depressive Schübe. Mit ihrer Dissertation kommt sie auch nicht voran und ist von ihrem Leben immer frustrierter. Das war's dann aber auch schon, was man über diese Menschen erfährt - Gaige bleibt mehr als vage, was ihre Figuren anbelangt, sie drehen sich um ihr eigenes kleines Zentrum und bleiben bloße Schablonen eines Menschen. Völlig absurd wird es dann bei Gaiges Versuch, die ehelichen Probleme der beiden auf Differenzen beim Wahlverhalten zurückzuführen - die Namen Obama und Trump traut sie sich dabei aber nicht in den Mund zu nehmen, und auch diese Andeutungen (z.B. Michaels konservativer Wunsch nach 'Freiheit') bleiben entnervend oberflächlich.

Dann kommt Michael auf die Idee, mit seiner Familie auf einen Langsegeltörn zu gehen - und Juliet stimmt zu. Los geht also die Fahrt in die traumhafte Karibik. Statt den Leser aber mit auf eine prächtige Reise voller Sinneseindrücke zu nehmen, gibt Gaige lieber mit ihrem Segelvokabular an, von dem ich nichts verstehe. Ganze Passagen habe ich nur überflogen, wenn Juliet das Fork refft oder die Dirk... ja, was macht man nochmal mit der Dirk? Die unglaublichen Orte, an denen die Partlows landen, bleiben völlig gesichtslos. Genauso wie die Figuren selbst, die immer wieder die gleichen 'tiefgründigen' Gedanken haben und die gleichen Gespräche führen.

Im Hintergrund schwelen dann noch drei 'Geheimnisse', die jeder, der ein wenig Menschenverstand hat, nach der ersten Andeutung entschlüsseln kann. Völlig hanebüchen kommt Michaels Verbindung zu dem 'dubiosen' Harry daher, den er eiskalt betrügt. Juliets Missbrauchserlebnis in der Vergangenheit dient als Aufhänger für alle Depressionen, Streits und Zweifel, die die Familie beschäftigen. Und dass Michael nach der Fahrt wohl nicht mehr da ist, ist auch von Anfang an klar. Gaige versucht aus diesen Elementen künstlich Spannung zu erzeugen, die am Ende geräuschlos verpufft - alles ist so wahnsinnig vorhersehbar, und selbst die (wortwörtlichen oder auch nur emotionalen) Stürme sind nichts weiter als ein sanftes Schunkeln auf den Wellen.

Am Ende versandet der Roman in einer Szene, die ohne jeden Übergang, ohne jede Erklärung und Einbettung daherkommt und dann einfach abbricht. Was darauf folgt, ist eine lose Aneinanderreihung von Gedanken, E-Mails, Gedichten und Gesprächen. Das ist nichts weiter ein schlecht getarnter Nachtrag von Sequenzen, die innerhalb der Geschichte vielleicht für etwas Tiefgang gesorgt hätten.

Am Schreibstil der Autorin lässt sich allerdings erkennen, warum sie genau diese interessanten Momente in ihrer Geschichte versäumt hat. Unnötig umständlich versucht sie, simple Gedanken in Worte zu pressen, die man mehrmals liest und deren Sinn sich einem trotzdem nicht erschließt. Sie lässt den Leser völlig allein in der Geschichte, vieles wirkt wie nachträglich dazukonstruiert (z.B. dass Juliet Michaels Logbuch liest und sich deshalb die Perspektiven abwechseln), und die großen Themen, die sie abdecken will (Missbrauch, Mutterschaft, Ehe, Mut zur Veränderung, etc.) streift sie gerade einmal oberflächlich. Und ein enervierendes Detail, das das Lesen egal welchen Romans zur Qual macht: Warum verwendet man bei wörtlicher Rede keine Anführungszeichen? Wo ist der Sinn dahinter? Es ist einfach nur ätzend, sonst nichts. Zu allem Überfluss halte ich außerdem die Übersetzung für ziemlich misslungen - da kann man eindeutig englische Strukturen rauslesen, die ungelenk ins Deutsche übertragen wurden, ohne das Ganze auf Idiomatik zu prüfen. Sowohl der englischen als auch der deutschen Version hätte ich wirklich ein besseres Lektorat gewünscht.

Am Ende bleibt mir nur zu sagen, dass ich dieses hanebüchene, chaotische Buch immerhin schnell gelesen hatte. Beim Lesen habe ich mich auch nicht wirklich über den Unsinn aufgeregt, sondern eigentlich immer darauf gehofft, dass doch mal noch ein Sturm kommt, der mich in die Wellen wirft. Leider ist es beim seichten Dümpeln geblieben.