Zwischen meterhohen Wellen und menschlichen Abgründen

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„Tränen oder Schweiß – so viele Geschichten enden mit Salzwasser. Ich hatte geglaubt, meine Trauer wäre einzigartig, würde mich von anderen fernhalten. Aber auf gewisse Weise bin ich bloß typischer geworden.“

Die Eheleute Juliet und Michael Partlow leben mit ihren Kindern Sybil (7) und George (2 1/2) in einer Vorstadt in Connecticut. Nach außen leben sie einen Familientraum, nach innen aber lebt das Paar in einer Krise: Michael trägt schwer an der Verantwortung als „Ernährer der Familie“ und fühlt sich gesellschaftlichen Zwängen unterworfen. Juliet leidet seit der Geburt der Kinder an Depressionen, die ihr die Bewältigung des Alltags erschweren. Das Miteinander funktioniert nicht mehr, die Ehe droht zu zerbrechen. Um die Pattsituation aufzulösen und endlich wieder das Gefühl von Freiheit erleben zu können, überredet Michael seine Frau zu einem einjährigen Segeltörn in der Karibik.

Es ist eine unkonventionelle Lösung, die das Leben aller Beteiligten für immer verändern wird und auf deren Reise Leser*innen die Familie durch zwei Perspektiven begleiten: Juliet sitzt Zuhause im Schrank und berichtet retrospektiv von der Zeit auf der Yacht, sinniert über ihr Leben – davor und danach – und versucht das Erlebte zu greifen. Ihre Gedanken werden dabei immer wieder von Michaels Logbucheinträgen unterbrochen. Diese Dynamik lässt eine Art Zwiegespräch entstehen und schnell wird klar, dass etwas Schreckliches passiert sein muss – doch was ist auf hoher See geschehen?

Eine Frage, die Amity Gaige ihren Leser*innen in „Unter uns das Meer“ beinahe bis zuletzt schuldig bleibt, denn sie allein treibt die Handlung an und gibt dem Roman teilweise sogar Züge eines Thrillers. Stilistisch bewegt sich der Pageturner jedoch zwischen Familiendrama, Abenteuerroman und psychologischer Studie. Was im ersten Moment krude anmutet, funktioniert in dieser Umsetzung bestens: Gaiges elegant-bildhafte Sprache und ihr Feingefühl bei der Darstellung sensibler Themen schaffen Nähe und Verständnis für die Protagonist*innen, ohne ihre Gefühle zu werten.

Zwischen meterhohen Wellen und menschlichen Abgründen liegt hier eine fesselnde Geschichte über eine dysfunktionale Familie. Einziger Kritikpunkt sind die teilweise etwas zu vielen nautischen Fachbegriffe.