Neuer Coehlo-Ratgeber für die gepflegte Depression?

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amadea Avatar

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Eingebettet in ein sehr privilegiertes Umfeld läuft für die ICH-Erzählerin alles perfekt - bis ... Ja, bis sie der achtlos dahin gestreute Satz: "Mir geht es überhaupt nicht darum, glücklich zu sein. Ich ziehe es vor, voller Leidenschaft zu leben, auch wenn es gefährlich ist, denn man weiß nie, wohin das führt" völlig aus dem Gleichgewicht bringt.

Als Leser verfolgt man von da an die traurige Entwicklung einer jungen Frau, die anscheinend aus dem Nichts heraus plötzlich ihr bisheriges Leben in Frage stellt; die nach und nach in einer aufkeimenden Depression zu versinken droht. Wir erfahren von ihren Gedankensprüngen, die schleichend in Angst übergehen - begleitet von der ungestillten Sehnsucht nach einer Lebensvielfalt, die es anscheinend trotz perfekter Kulisse für sie nicht (mehr) gibt. Sie lebt in inneren Tiraden dahin - mit einem fragenden Ton aller Sätze, die sie fortwährend in sich hineinredet.

Müdigkeiten und Stimmungen kommen auf, eine fast schon neurotische Zweifelsucht und düstere Verfinsterungen, die sie durch den Alltag trägt in der Gewissheit, im falschen Leben zu stecken - ohne Vorstellung, wie sie aus diesem emotionalen Strudel je wieder herausfinden kann.

Beschrieben wird eine vermeintliche Absurdität ihres karussellfahrenden Kopfkinos, in der selbst ein Orgasmus nichts weiter ist, als ein ehelicher Pflichtakt, den sie bewältigen muss, um ihre Welt nicht zum Einsturz zu bringen.

Coehlo erzählt gewohnt routiniert und mit viel Gespür für seine Figuren. Die Leseprobe ist für mich ein stürmischer Sehnsuchtstext nach Etwas, das wohl viele von uns gelegentlich vermissen, nämlich das Salz in der Suppe des Lebens. Wer kennt sie nicht, die bohrende Frage, ob denn das schon alles war, was das Leben zu bieten hat?

Summa summarum:
"Untreue" ist ein emotionsreicher Zeitbefund, virtuos aufbereitet. Die Leseprobe ist leider, leider(!) zu kurz. Der Vorhang fällt. Alle Fragen sind offen. Und ich als Leserin bleibe unwissend zurück - neugierig darauf, zu erfahren, mit welchen Klang an Gefühlen es weitergeht.