Persönliches Leid und gesellschaftlichen Anklage

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Die Auseinandersetzung mit dem Thema "weiblicher Schmerz" ist wichtig und erhält mit Eva Biringers „Unversehrt“ eine weitere Stimme. In einer Zeit, in der immer mehr Autorinnen fundiert die vielfältigen Benachteiligungen von Frauen aufzeigen, reiht sich dieses Buch ein in die wachsende Literatur, die feministische Perspektiven mit persönlichem Engagement verbindet. Der Schwerpunkt liegt hier auf den oft ignorierten oder bagatellisierten Schmerzen von Frauen. Dabei greift die Autorin auf ihre eigene Familiengeschichte zurück und schafft mit der bewegenden Erzählung ihrer Großmutter einen sehr persönlichen Einstieg in ein Thema, das uns alle angeht.

Weiblicher Schmerz, ob körperlich oder emotional, wird seit Jahrhunderten falsch verstanden. Der persönliche Einstieg über das Leiden ihrer Großmutter gibt dem Buch eine emotionale Tiefe, doch die Überleitung zu einer wissenschaftlich fundierten Analyse gelingt nicht immer. Zwar greift Biringer auf zahlreiche Studien, kulturhistorische Beispiele und feministische Theorien zurück, doch der rote Faden fehlt häufig, und die Struktur des Buches wirkt mitunter sprunghaft. Hier zeigt sich die Stärke vergleichbarer Werke wie Elinor Cleghorns "Die kranke Frau", die diese Verknüpfung präziser und umfassender gestaltet.

Die Wut der Autorin über die patriarchale Ignoranz ist spürbar und berechtigt, wirkt aber stellenweise überwältigend. Gelungen sind die Beispiele zu vernachlässigter Gendermedizin oder der kulturellen Ästhetisierung weiblichen Leidens. Problematisch sind hingegen ironische Einschübe und fragwürdige Ratschläge, wie die Empfehlung, einen Mann zum Arztbesuch mitzunehmen, um ernster genommen zu werden.

Trotz struktureller und stilistischer Schwächen ist "Unversehrt" ein wichtiges Buch. Es beleuchtet ein lange vernachlässigtes Thema und regt dazu an, den Umgang mit Schmerz und Geschlechterungleichheiten kritisch zu hinterfragen.