Schmerz und Gesellschaft: Eine kritische Betrachtung
Eva Biringer: Unversehrt. Frauen und Schmerz
TW: Chronische Schmerzen, Essstörungen, Selbstverletzung, häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch, Genitalverstümmelung und Femizide.
In diesem Buch beleuchtet Biringer das komplexe und oft vernachlässigte Thema Frauen und Schmerz. Dabei wirft sie die zentrale Frage auf, warum Schmerz bei Frauen oftmals anders bewertet wird als bei Männern – eine Frage, die in unserer patriarchalen Gesellschaft nicht oft genug gestellt wird. Sie beleuchtet, wie gesellschaftliche und historische Faktoren dazu führen, dass der Schmerz von Frauen oft verharmlost, ignoriert oder falsch behandelt wird.
Biringer verfolgt die Geschichte des Schmerzes anhand der Perspektive ihrer eigenen Großmutter, die jahrzehntelang unter unerklärlichen Schmerzen litt und schließlich medikamentenabhängig wurde, ohne jemals eine klare Diagnose zu erhalten. Diese persönliche Geschichte wird zum Ausgangspunkt für eine tiefergehende Reflexion über die Art und Weise, wie Frauen mit ihren körperlichen und seelischen Schmerzen umgehen müssen, und welche historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Biringer schreibt auf eine sehr zugängliche und oft persönliche Weise. Sie stellt Fragen, die zum Nachdenken anregen, und verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit persönlichen Anekdoten. Dabei spricht sie Themen wie chronische Krankheiten, Essstörungen, die Auswirkungen von Kapitalismus und Femizide. Besonders eindrucksvoll beschreibt Biringer den „Gender-Pain-Gap“ – die Tatsache, dass der Schmerz von Frauen häufig nicht ernst genommen wird und sie schneller mit Beruhigungsmitteln ruhiggestellt werden, während Männer in ähnlichen Situationen deutlich mehr Gehör finden.
Die Autorin geht weit zurück in die Geschichte, zu Hippokrates und Platon, die falsche Annahmen über Frauen und ihre Gebärmutter verbreiteten. Diese antiken Vorstellungen, die Frauen als Wesen darstellten, deren Leiden „normal“ und durch ihre Gebärmutter verursacht seien, wirken auch heute noch nach.
Sie beleuchtet den „Husband Stitch“ – das zusätzliche Vernähen nach Geburten, um den „Genuss“ des Mannes zu steigern – ein erschütterndes Beispiel weiblicher Entmenschlichung.
Biringer widmet sich auch den weiblichen Körpernormen in verschiedenen Kulturen. Sie geht auf Genitalverstümmelungen in Teilen Afrikas und die Gefahr ein, dass solche Praktiken auch im Westen unter dem Deckmantel der Ästhetik verbreitet werden. Zudem spricht sie über die vielfache Gewalt, die Frauen in verschiedenen Ländern erleben – von der Steinigung von Ehebrecherinnen in Indonesien bis hin zu den Femiziden in Mexiko. Sie zeigt auf, dass der Schmerz von Frauen auch in sexueller und häuslicher Gewalt sichtbar wird.
Themen wie Schwangerschaft, Geburten, Menstruationsbeschwerden und Endometriose nimmt Biringer ebenfalls in den Fokus.
Biringer geht auch auf moderne Phänomene ein, etwa die Nutzung von TikTok zur Aufklärung über gynäkologische Themen. Sie spricht von der heilsamen Wirkung von geteiltem Leid. Dabei lässt sie aber leider auch die möglichen negativen Auswirkungen der Plattform, wie etwa das Verbreiten von Fehlinformationen und die Verharmlosung von ernsthaften gesundheitlichen Problemen, aus.
Biringers Erzählweise ist lebendig, locker und aufschlussreich, auch wenn einige ihrer Aussagen – wie etwa die Behauptung, dass alle Frauen eigentlich „Pariserinnen“ sein wollen oder dass Schmerz oft als Symbol des Begehrens gedeutet wird – für mich fragwürdig erscheinen. Beispielsweise finde ich die Vorstellung, dass Frauen sich Schmerzen zufügen, um begehrenswert zu wirken, nicht zutreffend. Für mich sind Tätowierungen und hohe Schuhe eher Ausdruck von ästhetischen Vorlieben und weniger von einem Bedürfnis nach Schmerz und dem Gewolltwerden, wie sie es nennt.
Insgesamt ist „Unversehrt. Frauen und Schmerz“ ein aufrüttelndes, recherchiertes Buch, das sich mit wichtigen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Dennoch würde ich euch eher das Buch „Die kranke Frau“ empfehlen, das für mich tiefgründiger, detaillierter und gleichzeitig kompakter ist. Die versprochenen Lösungsansätze fehlen in Biringers Buch weitgehend. Stattdessen beschränkt sie sich darauf, vorzuschlagen, den eigenen Schmerz offen anzusprechen. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass Fakten oft einfach aneinandergereiht werden, ohne klaren roten Faden. Am Ende wird dann versucht, wieder auf die Geschichte der Großmutter zurückzukommen, was aber manchmal etwas konstruiert wirkt. Zudem wirkt es streckenweise etwas verwirrend. Gleichzeitig bietet das Buch aber auch einen tiefen Einblick in die komplexe Beziehung zwischen Frauen und ihrem Schmerz – sowohl körperlich als auch seelisch.
TW: Chronische Schmerzen, Essstörungen, Selbstverletzung, häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch, Genitalverstümmelung und Femizide.
In diesem Buch beleuchtet Biringer das komplexe und oft vernachlässigte Thema Frauen und Schmerz. Dabei wirft sie die zentrale Frage auf, warum Schmerz bei Frauen oftmals anders bewertet wird als bei Männern – eine Frage, die in unserer patriarchalen Gesellschaft nicht oft genug gestellt wird. Sie beleuchtet, wie gesellschaftliche und historische Faktoren dazu führen, dass der Schmerz von Frauen oft verharmlost, ignoriert oder falsch behandelt wird.
Biringer verfolgt die Geschichte des Schmerzes anhand der Perspektive ihrer eigenen Großmutter, die jahrzehntelang unter unerklärlichen Schmerzen litt und schließlich medikamentenabhängig wurde, ohne jemals eine klare Diagnose zu erhalten. Diese persönliche Geschichte wird zum Ausgangspunkt für eine tiefergehende Reflexion über die Art und Weise, wie Frauen mit ihren körperlichen und seelischen Schmerzen umgehen müssen, und welche historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Biringer schreibt auf eine sehr zugängliche und oft persönliche Weise. Sie stellt Fragen, die zum Nachdenken anregen, und verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit persönlichen Anekdoten. Dabei spricht sie Themen wie chronische Krankheiten, Essstörungen, die Auswirkungen von Kapitalismus und Femizide. Besonders eindrucksvoll beschreibt Biringer den „Gender-Pain-Gap“ – die Tatsache, dass der Schmerz von Frauen häufig nicht ernst genommen wird und sie schneller mit Beruhigungsmitteln ruhiggestellt werden, während Männer in ähnlichen Situationen deutlich mehr Gehör finden.
Die Autorin geht weit zurück in die Geschichte, zu Hippokrates und Platon, die falsche Annahmen über Frauen und ihre Gebärmutter verbreiteten. Diese antiken Vorstellungen, die Frauen als Wesen darstellten, deren Leiden „normal“ und durch ihre Gebärmutter verursacht seien, wirken auch heute noch nach.
Sie beleuchtet den „Husband Stitch“ – das zusätzliche Vernähen nach Geburten, um den „Genuss“ des Mannes zu steigern – ein erschütterndes Beispiel weiblicher Entmenschlichung.
Biringer widmet sich auch den weiblichen Körpernormen in verschiedenen Kulturen. Sie geht auf Genitalverstümmelungen in Teilen Afrikas und die Gefahr ein, dass solche Praktiken auch im Westen unter dem Deckmantel der Ästhetik verbreitet werden. Zudem spricht sie über die vielfache Gewalt, die Frauen in verschiedenen Ländern erleben – von der Steinigung von Ehebrecherinnen in Indonesien bis hin zu den Femiziden in Mexiko. Sie zeigt auf, dass der Schmerz von Frauen auch in sexueller und häuslicher Gewalt sichtbar wird.
Themen wie Schwangerschaft, Geburten, Menstruationsbeschwerden und Endometriose nimmt Biringer ebenfalls in den Fokus.
Biringer geht auch auf moderne Phänomene ein, etwa die Nutzung von TikTok zur Aufklärung über gynäkologische Themen. Sie spricht von der heilsamen Wirkung von geteiltem Leid. Dabei lässt sie aber leider auch die möglichen negativen Auswirkungen der Plattform, wie etwa das Verbreiten von Fehlinformationen und die Verharmlosung von ernsthaften gesundheitlichen Problemen, aus.
Biringers Erzählweise ist lebendig, locker und aufschlussreich, auch wenn einige ihrer Aussagen – wie etwa die Behauptung, dass alle Frauen eigentlich „Pariserinnen“ sein wollen oder dass Schmerz oft als Symbol des Begehrens gedeutet wird – für mich fragwürdig erscheinen. Beispielsweise finde ich die Vorstellung, dass Frauen sich Schmerzen zufügen, um begehrenswert zu wirken, nicht zutreffend. Für mich sind Tätowierungen und hohe Schuhe eher Ausdruck von ästhetischen Vorlieben und weniger von einem Bedürfnis nach Schmerz und dem Gewolltwerden, wie sie es nennt.
Insgesamt ist „Unversehrt. Frauen und Schmerz“ ein aufrüttelndes, recherchiertes Buch, das sich mit wichtigen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Dennoch würde ich euch eher das Buch „Die kranke Frau“ empfehlen, das für mich tiefgründiger, detaillierter und gleichzeitig kompakter ist. Die versprochenen Lösungsansätze fehlen in Biringers Buch weitgehend. Stattdessen beschränkt sie sich darauf, vorzuschlagen, den eigenen Schmerz offen anzusprechen. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass Fakten oft einfach aneinandergereiht werden, ohne klaren roten Faden. Am Ende wird dann versucht, wieder auf die Geschichte der Großmutter zurückzukommen, was aber manchmal etwas konstruiert wirkt. Zudem wirkt es streckenweise etwas verwirrend. Gleichzeitig bietet das Buch aber auch einen tiefen Einblick in die komplexe Beziehung zwischen Frauen und ihrem Schmerz – sowohl körperlich als auch seelisch.