Sensible Auswanderungsgeschichte einer Musikerfamilie. Wortakrobatik wird zum Lesegenuß.

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klugscheisser Avatar

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In seinem Debütroman „Vaterländer“ erzählt der erfolgreiche rumänisch-ungarisch stämmige Schauspieler Sabin Tambrea die Geschichte seiner Familie einmal aus seiner eigenen Sicht, dann aus der Sicht seines Vaters und im dritten Teil aus Sicht des im Lande gebliebenen Großvaters und seines Leidens unter dem Terrorregime des rumänischen Diktators Ceausescu .

Der Roman besticht durch die große Sensibilität des Autors und seine kreativen Wortschöpfungen.

Die Auswanderungs- und Ankommensgeschichte dieser Familie von klassischen Orchestermusikern scheint sich auf den ersten Blick nicht von der anderer Migranten zu unterscheiden, doch gibt uns Tambrea einen Blick in das Innenleben der sensiblen Familienmitglieder.

Mit großer Sensibilität und entsprechend kreativen Wortschöpfungen erzählt der Autor seine kindlichen Eindrücke und Empfindungen beim Ankommen seiner Familie in Deutschland. Der Vater hatte Rumänien bereits zwei Jahre zuvor verlassen, seine Frau mit den beiden Kindern folgte nun nach.

Die Eltern sind Violinisten und Orchestermusiker, doch erst nach weiteren Jahren ist es der Mutter gestattet als solche in Deutschland zu arbeiten.
Nach dem Sturz des Diktators Ceausescu ist endlich der Weg frei um die Familie in Rumänien zu besuchen. Dieser Ferienbesuch wird ausführlich geschildert, ich vermisste ein wenig die literarischen Kapriolen des bisher erzählten.

Das Leben der nach Deutschland ausgewanderten Familie unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von dem der meisten anderen migrierten Familien. Der Fernseher läuft im Hintergrund , die Kinder kommen schneller und besser in der neuen Heimat zurecht, als die Eltern, das Geld ist knapp und die Sorge um die Verwandten in der Heimat treibt einen um. Einmal im Jahr besucht man diese und beschenkt sie. Daß es sich hier um eine Musikerfamilie handelt kann man nur erkennen, wenn man es weiß.

Ich hatte mich früher schon immer gewundert, was für ein „normales“ ja geradezu spießiges Leben klassische Orchestermusiker im Vergleich zu anderen Künstlern führen. Ihr Leben scheint sich von dem von Verwaltungsangestellten nicht zu unterscheiden.

Das liegt zum einen daran, daß sie in der Ausübung Ihres Berufes in das enge zeitliche Korsett des Orchesters gezwungen werden und sich genauso disziplinieren müssen wie jeder andere Angestellte oder Arbeiter ohne Gleitzeit. Während der Maler oder Bildhauer die Freiheit hat, mit Freunden bis in den Tag hinein zu feiern, dann den Tag durchzuschlafen um dann die Nacht bis zum Sonnenaufgang wie besessen durchzuarbeiten, hat der Musiker diese Freiheit nicht.

Zudem ist der klassische Musiker kein Schöpfender, sondern ein Interpretierender. So kann der bildende Künstler seiner Phantasie und Kreativität freien Lauf lassen und seinem Werk sind nur durch sein Können Grenzen gesetzt. Und der Literat kann ganze Welten auf dem Papier erschaffen und auch noch den hintersten Winkel seiner Seele ausleuchten, wann und wo er will. Der Orchestermusiker dagegen würde ziemlich schnell den Taktstock des Dirigenten um die Ohren gehauen bekommen, wenn er die engen Grenzen der Interpretation seines Spieles verlassen würde und so erinnern mich Orchestermusiker meist an Kinder, die am Wandertag im Gänsemarsch mit gesenktem Haupt dem strengen Lehrer folgen und nur ab und zu mal einen verstohlenen Blick aus dem Augenwinkel nach links und rechts wagen.

Dieser äußerliche Eindruck den wir vom Orchestermusiker haben sagt natürlich rein gar nichts über sein Innen- und Seelenleben aus, denn sein Seelenleben findet in der Musik statt. Sein äußerliches und körperliches Leben ist mehr ein notwendiges Übel und so versucht er davon so wenig wie möglich belästigt zu werden, da die Musik, das Spielen, das gleichzeitige Zuhören, das Orchestrierte bereits alle Bedürfnisse seiner Seele abdeckt. Den inneren Schmerz mit expressiver Malerei nach außen schreien ? Wozu ? Mit dem Spielen eines Werkes eines großen Komponisten kann er seinen Schmerz problemlos verarbeiten und seine Freude nach außen tragen.

Natürlich kann sich ein Feuerwerk der literarischen Wortakrobatik nicht komplett durch einen Roman ziehen, doch aufgrund einiger Längen in der Beschreibung der Heimatbesuche, die man etwas interessanter hätte gestalten können, erhält der Roman von mir 4 von 5 Sternen.