Die ewige Leerstelle

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Dieser Roman beginnt schon dramatisch: Ein sterbenskranker Sohn schreibt seinem Vater, den er nie kennengelernt hat, im Krankenhaus einen Brief, in dem er ihm von seinem Leben erzählt. Gleichzeitig stellt er klar, dass „nichts stimmt, und doch ist jedes Wort wahr“. Dieses Spiel mit der Erzählperspektive, diese offensichtliche Lust am Geschichtenerzählen führt anfangs zu einer gewissen Vorsicht, schließlich ist diesem Erzähler möglicherweise nicht zu trauen. Doch er erzählt so gut, dass alle Vorbehalte schnell über Bord geworfen werden. Wir erfahren von seinem Aufwachsen in einer namenlosen Stadt, von seinem Leben mit einer trinkenden Mutter und einer älteren Schwester, die schnell erkennt, dass sie nur allein eine Chance auf ein eigenes Leben hat. Es geht um Freundschaften, die alles bedeuten und doch ständig bedroht sind, um prekäre Verhältnisse, mögliche Abschiebungen und Geburtstage auf dem Ausländeramt. Ardas Vater Metin ist eine Leerstelle in seinem Leben, allerdings eine, die laut nach Aufmerksamkeit schreit, auch wenn er sie am liebsten ignorieren würde. Öziri hat einen vielschichtigen und soghaften Roman geschrieben, der mit der Figur des unzuverlässigen Erzählers spielt und auch den Stimmen der Mutter und der Schwester genug Raum gibt, um ihre Version der Geschichte zu erzählen. Am Ende bleibt unklar, was genau passiert ist, doch die verschiedenen Einblicke in das Leben der einzelnen Familienmitglieder fügen sich zu einer Einheit zusammen und verdeutlichen, was es heißt, mit einem sogenannten Migrationshintergrund in diesem Land aufzuwachsen und jenseits aller Zuschreibenden zu einer eigenen Identität zu finden. Ein großartiges Buch!