Tiefgründige Familiengeschichte, emotional erzählt

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plansbymrsgue Avatar

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„Du musst wissen, Metin, für mich hatten Väter immer etwas Angsteinflößendes. […] Wäre ich bei dir aufgewachsen, hätte ich genau zwei Möglichkeiten gehabt. Nachahmung oder Abgrenzung.“

Die ersten Seiten von Necati Öziris „Vatermal” fand ich richtig stark, aber dann habe ich mich kurz gefragt, ob die bisherigen Rezensionen, die das Buch als Highlight beschreiben, nicht zu hoch gegriffen waren. Jetzt, wo ich das Buch beendet habe, kann ich sagen: nein, waren sie nicht. Es ist wirklich ein ganz besonderes Buch.

Necati Öziri enthüllt in seinem Debüt die Komplexität von Beziehungen, das Verlangen nach Geborgenheit und die Schatten der Vergangenheit auf beeindruckende Weise. Dabei zieht sich die Thematik der Parentifizierung und die Sehnsucht nach Liebe wie ein roter Faden durch das Buch. Öziri versteht es, die einzigartige Bindung zwischen Eltern und Kindern darzustellen und betrachtet dabei nicht nur die im Fokus stehende Beziehung zwischen Vater und Sohn, sondern auch zwischen Mutter und Tochter, Vater und Tochter und Mutter und Sohn. Jede Beziehung birgt ihre eigenen Missverständnisse und Emotionen, während der Wunsch nach Verständnis und Zugehörigkeit stets präsent ist. Öziri zeichnet ein lebendiges Bild einer Familie, die von zarten Hoffnungen, unausgesprochenen Bedürfnissen und unaufgelösten Konflikten geprägt ist und stellt diese einfühlsam und wortgewandt dar.

Die Erzählung entfaltet sich langsam, Schicht für Schicht, und mit jedem Gespräch, mit jeder Seite taucht man noch tiefer ein und der Stein, den man mit sich trägt, wird schwerer. Bis man sich am Ende denkt: Was eine Wucht! Öziri präsentiert unverarbeitete Traumen, die sich über Generationen erstrecken und deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen.
Das Buch behandelt nicht nur Ardas Geschichte, sondern beleuchtet auch gesellschaftliche Zwänge, das Überwinden von Hindernissen und die Suche nach der eigenen Identität. Dabei berührt Necati Öziri Themen wie häusliche Gewalt und Abgrenzung, während er gleichzeitig die Bemühungen der Charaktere zeigt, sich aus diesen Fesseln zu befreien. Es gelingt ihm, all diese Elemente in einem kraftvollen Geflecht zu verweben und dabei die menschlichen Emotionen und Beziehungen in den Vordergrund zu stellen. Er erzählt die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln, sodass man tief in die Gedanken von Arda und seiner Familie eintauchen kann.

„Selbst nachdem du sie zum ersten Mal geschlagen hast und sie am nächsten Morgen ihre Mutter anrief […], selbst da hat meine Oma, statt sie zu sich zu rufen, sie daran erinnert, dass du der Vater ihres Kindes bist […] und dass auch sie […] solche Zeiten hatte durchstehen müssen und dass noch keine Backpfeife eine Familie zerstört hätte.“

„Vatermal" ist nicht nur eine Erzählung, sondern eine herzzerreißende Offenbarung. Necati Öziri entfaltet die Geschichte einer Familie mit großer Empathie und Tiefe und fängt dabei die tiefsten Gefühle der menschlichen Existenz ein. Es ist eine Lektüre, die einem noch lange nach dem Lesen im Herzen bleiben wird.