Ein verschwommener Mensch

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amara5 Avatar

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Monikas Helfers Erinnerungsroman „Vati“ drängt sich mit seiner klaren Prosa nicht auf – er entfaltet zart und reduziert etwas Faszinierendes zwischen dem Erzählten. Lakonisch, bruchstückhaft und in Zeitsprüngen versucht die Autorin anhand von ihren und der Erinnerungen der Stiefmutter halb fiktional, halb autobiografisch den rätselhaften und schwer zu durchschauenden Menschen, der ihr Vater war, einzufangen.

In der Schule blitzgescheit, fast das Matura in der Tasche, wird er in den Zweiten Weltkrieg eingezogen und verlor in Russland nicht nur ein Bein – das Kriegstrauma hat ihn auch seelisch verändert. Halt sucht er in seinen Büchern, die ihm alles bedeuten und heilig sind. Als Verwalter des Kriegsopfer-Erholungsheims auf der Tschengla, dem Hochplateau in Vorarlberg, ist er auch Herr über die umfangreiche Bibliothek. Monika erlebt dort mit ihren Geschwistern eine soweit idyllische Kindheit in den Bergen – doch die Mutter verstirbt früh und der Vater wird nach diesem Verlust noch abwesender. Die Kinder werden bei unterschiedlichen Verwandten untergebracht.

Nach ihrem erfolgreichen Roman „Die Bagage“ ordnet Monika Helfer nun weiter klug, sensibel und in ihrer ganz eigenen Atmosphäre ihre Familiengeschichte – dabei erschafft sie episodenhaft sehr plastische Menschen und poetisch bildhafte Umgebungen in einer Nachkriegswelt. Schönes trifft auf Trauriges, ohne rührselig zu werden – Helfer beschreibt ohne zu urteilen. Auch der Tod der eigenen Tochter Paula wird thematisiert.

„Wieder tagträume ich und sehe die Farben der Tschengla, das Lilienweiß, Enzianblau, Erdbeerrot. Jeden Tag gehe ich über den Berg, der Schlossberg heißt, von dem meine Tochter gefallen ist, sie war einundzwanzig.“

Eine eindringliche, subtil arrangierte Konstruktion in faszinierenden Bruchstücken, die als Ganzes den Vati nicht komplett klar werden lässt, aber in der zwischen den Zeilen mit wenigen präzisen Worten viel berührendes, existenzielles Zwischenmenschliches steckt. Es ist auch eine gelungene, pathosfreie Hommage an das Erinnern und das Erkennen, das dieses nicht immer wahrheitsgetreu ist.