Eine vergangene schwere Zeit und ein vergangenes Paradies

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sternchenblau Avatar

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Durch viele positive Stimmen zu „Die Baggage“, Helfers Roman vor diesem hier, wollte ich endlich mal ein Buch der österreichischen Autorin lesen. Und mir hat „Vati“ nun auch sehr gut gefallen.

Besonders sticht die wunderschöne Sprache hervor.

„…nichts besaß er. Wirklich nichts. Das ich ich mir nur schwer vorstellen:dass einer gar nichts hat, wirklich nichts. Ich höre die Leute sagen: Wir standen vor dem Nichts – und dann stellt sich heraus, die Schuhe gehörten ihnen und die Socken und der Regenschirm und die Kappe auf dem Kopf auch. Im Falle meines Vaters, damals zukünftigen Vaters, hieß nichts: Nichts. Nicht einmal der Dreck unter den Fingernägeln gehörte einem, denn den hat man aus fremden Fenstern gekratzt.“

Neben der sprachlichen Finesse ist das Buch eine sehr private Erinnerung an Helfers eigenen Vater. Hommage wäre aber eines zu viel, denn Helfer gelingt das Kunststück, dass sie ihn nicht verklärt, sondern ihn zwar liebevoll, aber eben auch mit seinen Schwächen zeigt. Obwohl es rein formal gesehen von seiner Bildung nicht zutraf, war er ein Intellektueller, ein Buchliebhaber, einer, der wie ein Städter wirkte, trotz seiner armen Herkunft. Genau darüber wird er stolpern und auch seine Familie, denn dadurch wird die Vertreibung aus dem familiären Paradies beginnen, einem „Kriegsopfererholungsheim“, dem er als Leitung vorstand.

Nach dem Tod der Mutter wird der Vater beinahe lebensunfähig, auf alle Fälle aber unfähig, sich um seine vier Kinder zu kümmern. Seltener sind die Passagen der Reflexion, meist erinnert sich die Autorin sehr unmittelbar an ihre Familie. Manchmal ist ihr Blick kindlich und dann besonders schmerzlich. Dieses Leben ging nicht ohne Schmerzen und Verluste einher.

Ich konnte mich sehr einfühlen, vieles erinnerte mich auch an Erzählungen aus meinem Familienkreis, denn Helfer ist (beinahe) die Generation meiner Eltern (Jahrgang 1942 und 1944).
Vieles davon scheint so weit entfernt, wie aus einer anderen Welt. Und bei Helfers Biografie sind dann die Veränderung dieser Welt spürbar.

Helfer ist Jahrgang 1947, die erste Nachkriegsgeneration. Sie bleibt allerdings sehr in ihren Familienerinnerungen, die großen Zusammenhänge kommen nur wenige Male vor. Das ist emotional zu lesen und auch sonst legitim. Für die 5 Sterne fehlte mir allerdings der weitere Blick, das Universelle, dass darüber hinausgeht, dass wir alle Menschen sind. Das fängt damit an, dass das I-Wort verwendet wird. Und zeigt sich für mich nicht zuletzt an der Erklärung des Titels selbst, mit der das Buch auch beginnt:

„Wir sagten Vati. Er wollte es so. Er meinte, es klinge modern.“

Da ist „Vati“ wohl einem Trugschluss aufgesessen mit der Modernität. Die Nationalsozialisten haben dieses Wort dem französisch anmutendem Papa oder Papi immer vorgezogen. Ein Gedanke dazu fehlt allerdings im Buch und ich glaube nicht, dass der Fakt so allgemein bekannt ist. Viele Themen schwingen mit, schon allein der Ort des „Kriegsopfererholungsheimes“, die Resonanzen musste ich dazu allerdings selbst suchen.

Fazit
Mit emotionalen Erinnerung an den eigenen Vater und die eigene Familie, macht Helfer eine vergangene Zeit, die noch nicht so lange vergangen ist, sehr unmittelbar erfahrbar. Ich habe ihren Roman sehr gerne gelesen und vergebe 4 von 5 Sternen.