Erinnerungen und Annäherung an den Vater

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„…Das ist Glück. Dieses Wort, so will mir scheinen, kommt erst vor, wenn bereits das Gegenteil eingetreten ist.“ (Seite 55)

Die österreichische Autorin Monika Helfer, geboren 1947 in Au (Vorarlberg), nimmt den Leser in ihrem Roman „Vati“ mit auf eine berührende Reise in ihre Kindheit und teilt ihre Erinnerungen an ihren Vater.
Josef, Sohn einer Magd, wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, merkt jedoch schon im Kindesalter, dass er anders als sein Umfeld ist. So lernt er früh schreiben und lesen und entdeckt seine Liebe zu Büchern, er strebt nach Höherem, doch das Leben legt ihm einige Steine in den Weg. Fragmentarisch erzählt die Autorin mit Hilfe der Erinnerungen der Stiefmutter und der Geschwister das Leben des Vaters, der selbst nicht viel geredet hat. Es ist der Versuch einer Annäherung an den Vater, den Kriegsversehrten, den Witwer, den Literaturliebhaber, wobei es beim Versuch bleibt, denn so richtig zu fassen bekommt man das Wesen des Vaters nicht. Er bleibt verschwommen, undurchdringlich. So kann man auf Seite 171 lesen: „Renate sagte: „In Wirklichkeit wissen wir gar nichts über ihn“. Ich neige dazu, Renate recht zu geben.“
Ich fand den Roman unheimlich berührend und sehr bereichernd. Monika Helfer hat einen außergewöhnlichen Schreibstil mit zum Teil langen Sätzen, der sehr treffend und emotional die Begebenheiten und Personen beschreibt. Die Sprache wechselt zwischen kindlich-naiv und literarisch, oft sind Dialoge eingestreut. Mich haben viele Textstellen zu Tränen gerührt, weil man sowohl die freudigen als auch die schmerzhaften Kindheitserinnerungen durch ihre Beschreibungen sehr gut nachempfinden kann. Die Autorin lässt ein sehr lebhaftes Bild der damaligen Zeit vor dem inneren Auge des Lesers entstehen, deshalb ist das Buch für mich ein wertvolles Stück Zeitgeschichte. Ich habe mir in dem Buch sehr viel markiert, denn es enthält so viele Wahrheiten und schöne Sätze. Natürlich werde ich „Die Bagage“ – den Vorgänger-Roman - auch noch lesen, um ein umfassenderes Gesamtbild zu bekommen.