Eine Liebesgeschichte und eine Geschichte über das Erzählen

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frischelandluft Avatar

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Gibt es genetisch vererbte Traumata? Verhaltensänderungen aufgrund traumatischer Erlebnisse, die sich über Generationen fortsetzen? Der Erzähler wird schnell wütend, seine Frau und Kinder haben Angst vor ihm. Als er das erkennt, forscht er in seiner Familie nach Mustern und bleibt an seinem Großvater, einem berühmten schwedischen Schriftsteller hängen. Aus dieser Rahmenerzählung heraus beginnt dann die Geschichte um seinen Großvater, seine Großmutter und deren außerehelicher Beziehung zu einem anderen Schriftsteller. Das an sich ist schon eine spannende Geschichte um Ehe und Ehebruch, eine vergiftete, zerstörerische Ehe, den Versuch der Emanzipation und eine zarte Liebe mit ungünstigen Vorzeichen.
Doch ist es wirklich die tragische Dreiecksbeziehung, die im Vordergrund steht oder wird der Schreibvorgang an sich thematisiert? Für alle Hauptfiguren ist Schreiben ein zentraler Aspekt ihres Lebens. Drei Schriftsteller und die Frau des Schriftstellers, die ganz klassisch als Muse und als Inspiration der Männer fungiert und versucht, aus dieser Rolle auszubrechen und ihr eigenes Leben zu führen. Der Erzähler, der sich selbst als allwissenden Erzähler der Rahmenerzählung bezeichnet, nimmt uns mit auf die Suche nach der ‚Wahrheit‘, durch Archive, Briefe, Tagebucheinträge, Fotos, Reisen zu den Originalorten, persönliche Erinnerungen. Das wird gebrochen durch Abschnitte, in denen ein anderer Erzähler redet, ein allwissenderer Erzähler, wir sind dann in den Jahren 1932/33 und erleben die Begegnung der drei Personen im wechselnden Fokus. Und dann sind da noch die ‚Original‘-Auszüge aus den Briefen und Tagebüchern. Bezieht man noch mit ein, dass der Erzähler Alex Schulman heißt, wie der Autor, und er sich mit der Dreiecksbeziehung auf reale Personen bezieht, entsteht eine weitere Ebene, die die Grenzen zwischen dem Autor und den Erzählern vermischt – ein No-Go für Literaturwissenschaftler. Es ist ein Spiel zwischen Realität und Fiktion(alisierung), zwischen der Rezeption von Quellen und dem, was man daraus macht.
Schulman schafft es, mit seinem Buch gut zu unterhalten und gleichzeitig durch die komplexe Konstruktion der Erzählung eine weitere, noch viel spannendere Ebene zu schaffen. Das Buch macht Spaß, wie sein Vorgänger „Die Überlebenden“. Ich bin jetzt schon neugierig, was er als nächstes schreibt.