Wahnsinnsbuch!

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luna80 Avatar

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„Er kommuniziert sein Missfallen, in dem er gar nicht kommuniziert oder durch subtile Gesten, wie neulich, als sie sich ein Bad einließ und er plötzlich angelaufen kam und die Badezimmertür hinter ihr schloss. Er erträgt keine Geräusche. Es muss still sein um ihn herum.“ (S. 55)

Wir begeben uns in die Jahre 1932, 1988 und die Gegenwart des Protagonisten Alexander, sein sozusagen „buchiges Ich“. Buchiges Ich deshalb, da sich Alex Schulman in Ermittlungen stürzt. Solche, die seine eigene Familie betreffen; gewidmet seiner Großmutter Karin. Detektivisch inspiziert er die Familiengeschichte von vor über 60 Jahren, nimmt Orte, Briefe, Archive und Bibliotheken unter die Lupe, um einem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen.

Wir lesen von drei verschiedenen Personen, drei Generationen und damit vielen verbundenen Geschehnissen und Gefühlen, die innerhalb der gesamten Familie, in hässlichen Streitereien und Zermürbungskämpfen oder auch Ohnmacht enden, die man über sich ergehen lassen muss.
Sven Stolpe, seines Zeichens erfolgreicher Schriftsteller, angesehen in der Welt, außen hui, innen pfui. Verheiratet mit Karin. Karin, eine Frau, die er unbedingt ehelichen wollte, aber nach kurzer Zeit schon wie einen Fußabtreter behandelt, die er tyrannisiert, niedermacht, malträtiert sie regel-mäßig. Stolpe erkrankt an Tuberkulose und sein Benehmen wird immer grausamer. Auf einer Schreibreise von Stolpe in die Sigtuna-Stiftung lernt Karin Olof kennen. Die beiden verlieben sich ineinander. Und die Reise in die Hölle geht los. Sie treffen sich heimlich, immer in Sorge erwischt zu werden. Als Sven Lunte riecht droht er Karin. Erst erschieße ich deinen Geliebten, dann Dich und dann mich.

„Es ist, als würde seine Laune sich in sie hineinfressen und sie krankmachen. So ist es nicht immer gewesen. Anfangs war es, als würde sein Temperament ihnen beiden Aufwind verleihen. Sven war wütend auf die Welt, auf Kritiker, die keine Ahnung hatten, […] Es war zugleich eine Wut, die sie beschützte. […] Dann kam die Veränderung. Sie erinnert sich an das an das erste Mal, als Svens Zorn sich gegen sie richtete“. (S. 132)

Zeitgleich lernen wir Alex kennen, Familienvater, aggressiv und offensichtlich mit angsteinflößen-dem Wesen. Seine Frau hält diese Situationen zu Hause nicht mehr aus, droht mit Auszug. Und als Alex erkennt, dass seine Frau und Kinder Angst vor ihm haben, dies anhand kleiner Dinge fest-macht, erkennt er ein Muster. Eines, das ihm sehr gut bekannt ist. Eines, das er selbst immer spür-te, im Hause der Großeltern. Aufs massivste sensibilisiert waren sie alle auf kleine Veränderungen in der Sprache, im Handeln von Großvater Sven. So möchte Alex nicht sein und er beginnt zu forschen, warum er so wurde. Wurden die innerfamiliären Konflikte weitergegeben? Ist diese unbändige Wut, diese Aggression, dieses Verhalten anderen Menschen gegenüber vererbbar?

Axel Schulman hat bei mir hier genau ins Schwarze getroffen. Ich konnte das Buch nicht mehr weg-legen, habe es förmlich inhaliert. Der Schreibstil ist intensiv, mitreißend, ehrlich; der Plot klug auf-gebaut, mit viel Leidenschaft geschrieben und das spürte ich intensiv beim Lesen. Mit wenig Be-schreibung hat Schulman tiefe Charaktere gezeichnet. Es hat mich nicht mehr losgelassen. Das Mit-fiebern mit Alex, das Bangen und Hoffen für Karin und Olof. Diese schiere Wut, die sich in mich gefressen hat beim Lesen über diesen narzisstischen Kerl, der diese liebevolle Frau stets tyrannisierte, und die dennoch immer stark war, egal wie klein sie sich fühlte. Sie auf eine Art und Weise fertig machte, die ich nicht begreifen kann und schwer ertrug beim Lesen. Und zeitgleich auch die Ohnmacht, die sie erleben musste in dieser Zeit. Dass es nicht so einfach war, sich einfach loszusagen – schon gar nicht mit so einem Kontrollwahnsinnigen. Für Sven Stolpe ist alles ein Krieg, lesen wir im Buch. Und genauso behandelte er die Welt. Quelle allen Übels ist einfach die Wut, die ganze Generationen vergiftet. 20 Jahre nach ihrem Tod verschafft ihr Enkel mit seinem Buch eine Sicht dieser tollen Frau, die viele uns beim Lesen erkannten, die zur damaligen Zeit aber leider vielen verborgen blieb! Wie unglaublich schön und zugleich traurig ist das!

Großartiger Roman und uneingeschränkte Leseempfehlung! … und wie es zum Buchtitel kam, das müsst ihr dringend nachlesen!